Proteine statt Promille

Vincent Vida, was bedeuten die beiden Auszeichnungen für Sie und Ihr Unternehmen?
Nachhaltigkeit ist für uns nicht nur ein Geschäftsmodell, sondern der Grund, warum es UpGrain überhaupt gibt. Deshalb sind diese beiden Auszeichnungen eine grosse Ehre. Sie zeigen, dass man auch als Start-up mit innovativer Technologie einen echten Beitrag leisten kann. Der Sustainability Award würdigt unsere ökologischen und sozialen Aspekte, der Diamant unterstreicht die wirtschaftliche Tragfähigkeit unseres Ansatzes.
Was macht Ihre Technologie zur Veredelung von Biertreber so besonders?
Wir haben von Anfang an einen vollständig nachhaltigen Weg gewählt. Unsere Technologie funktioniert rein mechanisch – ohne Enzyme, ohne Chemikalien. Sie ist energieeffizient und erzeugt ein qualitativ hochwertiges Produkt für die Lebensmittelindustrie. Nachdem fast alle Kohlenhydrate in die Würze übergegangen sind, besteht der zurückbleibende Biertreber hauptsächlich aus Proteinen, Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralstoffen. Wir trennen durch Trockenfraktionierung die Proteine von den Ballaststoffen und schaffen so Zutaten mit Mehrwert. Das ist echtes Upcycling!
Wie hat sich UpGrain seit dem Gewinn des START Summit 2021 entwickelt?
Damals war UpGrain eine frische Idee, die wir zum ersten Mal öffentlich präsentiert haben. Inzwischen beschäftigen wir gegen 20 Mitarbeiter, beliefern internationale Kunden mit Rohstoffen aus Europas grösster Upcycling-Anlage und planen weitere Produktionsstandorte. Unsere Technologie funktioniert und unsere Produkte kommen im Markt an. Heute versorgen wir täglich mehrere hunderttausend Menschen mit gesunden, nachhaltigen Zutaten.
«Unsere Rohstoffe können Mehl in vielen Rezepturen ersetzen.»
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Brauerei Locher?
Der Erstkontakt entstand bereits während meines Masterstudiums an der HSG – da habe ich Aurèle Meyer kennengelernt. Als unsere Idee später konkreter wurde, habe ich ihn angerufen. Er organisierte ein Treffen mit Karl Locher, bei dem wir unser Konzept vorstellten. Es passte perfekt zur Strategie der Brauerei. Heute arbeiten wir täglich eng zusammen. Unser gemeinsames Ziel: Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit konsequent weiterentwickeln.
Sie sagen, Bier könnte eines Tages nur noch ein Nebenprodukt sein. Was meinen Sie damit?
Alkohol und Zucker verlieren in einer gesundheitsbewussten Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. Gleichzeitig steigt der Marktwert von Proteinen und Ballaststoffen. Es liegt also nahe, das volle Potenzial des Gerstenmalzes auszuschöpfen. Wenn Brauereien aus derselben Menge Rohstoff sowohl Bier als auch hochwertige Lebensmittel produzieren können, wird Biertreber wirtschaftlich besonders interessant.
Wie herausfordernd war der Aufbau der Produktionsanlage in Appenzell?
Der Start war alles andere als einfach. Es gab viele Stolpersteine, aber wir haben enorm viel gelernt. Heute läuft die Anlage stabil, vollautomatisiert und synchron mit dem 24-Stunden-Rhythmus der Brauerei. Das war nur möglich durch die enge Zusammenarbeit mit der Brauerei Locher, ihre Infrastruktur, ihre Erfahrung mit Lebensmitteln und unser eigenes Team, das vollständig nach Appenzell umgezogen ist. Diese Nähe hat uns ermöglicht, schnell zu reagieren und Prozesse kontinuierlich zu optimieren.
«Wir versorgen täglich Hunderttausende Menschen mit gesunden, nachhaltigen Zutaten.»
Wo sehen Sie das grösste Wachstumspotenzial?
In der Standardisierung unserer Technologie. Sobald die Anlagenteile standardisiert sind, können wir sie bei anderen Brauereien einsetzen. Die Erfahrungen aus Appenzell sind dafür essenziell.
Welche Märkte sind derzeit besonders interessant für Sie?
Die USA und die Benelux-Staaten. In den USA ist Upcycling bereits ein Thema, dort wächst die Nachfrage kontinuierlich. Die Beneluxstaaten ziehen schnell nach. Und auch in der DACH-Region spüren wir steigendes Interesse. Zusätzlichen Rückenwind erhalten wir durch Regulierungen wie die EU-Vorgaben zu Scope 1, 2 und 3. Sie zwingen grosse Unternehmen zu nachhaltigen Wertschöpfungsketten; das kommt uns natürlich entgegen.
Wo sehen Sie derzeit Hürden?
In den USA gibt es aktuell politischen Gegenwind; Klimaziele haben dort nicht oberste Priorität. Unsere Antwort darauf ist ein Rohstoff, der nicht nur nachhaltig ist, sondern auch preislich überzeugt, etwa als Proteinquelle oder Mehlersatz. Damit lassen sich Grundnahrungsmittel langfristig günstiger machen. Unser Anspruch ist es, gesunde Lebensmittel erschwinglich zu machen und gleichzeitig einen messbaren Beitrag für die Umwelt zu leisten. Auch die Schweizer Armee setzt auf Ihre Produkte.
«Scope 1, 2 und 3 zwingen grosse Unternehmen zu nachhaltigen Wertschöpfungsketten.»
Was bedeutet das für Sie?
Das zeigt, dass unsere Produkte nicht nur im zivilen Alltag bestehen, sondern auch unter besonderen Anforderungen überzeugen. Unser Protein wird als Fleischalternative genutzt, etwa in Form von Hackfleisch. Es enthält viel Eiweiss, sättigt gut und liefert Ballaststoffe, Vitamine und Mineralien. Damit unterstützt es Verdauung, Muskelaufbau und eine ausgewogene Ernährung. Ausserdem leisten wir mit unserer Verarbeitungskapazität von 25’000 Tonnen einen Beitrag zur Ernährungssicherheit – ein nicht zu unterschätzender Aspekt in Krisenzeiten.
Wie gross ist die Umweltwirkung Ihrer Produkte konkret?
Unsere Produkte verursachen rund 70 Prozent weniger CO₂ als klassisches Mehl – und sogar weniger als viele Proteinpulver. Wenn man den Wasserverbrauch und den Flächenbedarf einrechnet, sind wir über 90 Prozent nachhaltiger als vergleichbare Produkte. Zwei unabhängige Lebenszyklusanalysen bestätigen diese Zahlen. Wir verwerten die Gerste vollständig und führen alle Bestandteile in ihrer höchsten Wertschöpfung zurück in die Lebensmittelindustrie.
Wie schwierig ist es, ein nachhaltiges B2B-Produkt im Markt zu etablieren?
Es ist sehr herausfordernd. Nachhaltigkeit öffnet Türen, aber der Markteintritt benötigt Zeit, Beharrlichkeit und starke Partner. Unser Team bringt viel Know-how aus der Lebensmittelindustrie mit; wir helfen unseren Kunden aktiv, zum Beispiel bei der Rezeptanpassung. In den nächsten zwölf Monaten erwarten wir mehrere Produkt-Launches, auch in der Schweiz. Unsere Strategie ist klar: Ökologie, Gesundheit und Wirtschaftlichkeit müssen zusammenspielen. Wer überzeugen will, muss in allen Bereichen stark sein – nicht nur in einem.
Wo steht UpGrain in fünf Jahren?
Auf zwei Ebenen. Erstens als Technologieanbieter für Brauereien, die bis 2030 CO₂-neutral wirtschaften wollen. Zweitens werden unsere Produkte in immer mehr Endprodukten zu finden sein. Viele Händler setzen heute schon auf Zutaten mit positivem CO₂-Fussabdruck. Unsere Rohstoffe können Mehl in vielen Rezepturen ersetzen – oft ohne dass der Konsument es merkt, aber mit spürbarer Wirkung. Ob daraus eine eigene Konsumentenmarke wird, hängt letztlich davon ab, welchen Stellenwert Nachhaltigkeit beim Einkauf einnimmt.
Text: Patrick Stämpfli
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer