«Ostschweizer sind beratungsintensiv, aber dankbar»

André Lüthi, der Globetrotter Travel Service der Globetrotter Group hat 16 Standorte – einen davon in St.Gallen. Was macht den Reisemarkt in der Ostschweiz aus?
Ostschweizer verreisen gern länger, also für zwei bis drei Wochen – lieber zweimal im Jahr eine Ferndestination als fünf kurze Städtetrips. In unserem Reisebüro in St.Gallen sind Australien und Neuseeland sehr beliebt. Ostschweizer sind Modellreisende für unsere Philosophie: Sie sind interessiert, wollen einen Ort in seiner Tiefe erleben und bereiten sich akribisch auf ihre Reisen und die dortige Kultur vor. Ostschweizer sind entsprechend beratungsintensiv, aber dankbar. Wir erhalten viel Feedback von ihnen.
Wie ist Ihr Reisebüro in St.Gallen aufgestellt?
Dort arbeiten acht Vollzeitleute und eine Lernende. Drei sind schon über 25 Jahre dabei, drei weitere über zehn. In puncto Mitarbeitertreue ist die St.Galler Filiale die Nummer eins in der Schweiz. Unsere Stammkunden wissen das zu schätzen. In St.Gallen läuft viel über Mund-zu-Mund-Propaganda. Man empfiehlt uns bei Arbeitskollegen oder im Sportclub weiter. Glückliche Kunden reden über uns.
Sie sagen, Ihre Hauptaufgabe sei, den Mitarbeitern Sinnhaftigkeit und Freude am Beruf zu vermitteln. Wie gelingt das konkret?
Meine Aufgabe ist es heute, die richtigen Menschen zu finden, die unsere Unternehmen führen. Es gibt zwölf CEOs in der Globetrotter Group. Sie müssen das richtige Mindset mitbringen – dazu gehört unser Urgedanke, dass Reisen die beste Lebensschule ist. Meinen Nachfolger bei Globetrotter Travel Service, Dany Gehrig, lernte ich etwa als Freund während einer Expedition in Tibet kennen. Wichtig ist, dass ich den Führungskräften viel Vertrauen schenke. Für sie bedeutet es, dass sie Verantwortung übernehmen. Oft denken und handeln sie anders als ich – aber sie führen ihre Firmen erfolgreich. Was will ich mehr?
«Ostschweizer sind Modellreisende für unsere Philosophie.»
Was hat Reisen mit Führung zu tun?
Reisen ist Persönlichkeitsentwicklung. In der Führung fehlt es oft an Vertrauen und der Fähigkeit, Verantwortung zu übertragen. Auf Reisen muss man in verschiedensten Situationen immer wieder anderen Menschen vertrauen – sei es dem Busfahrer in Indien oder dem Guide in Kolumbien. Reisen heisst aber auch, Respekt und Toleranz zu entwickeln für andere Kulturen und Weltanschauungen. Auf Reisen lernte ich meine eigenen Grenzen und Schwächen kennen.
Welche?
Ungeduld – damit kommen Sie in Indien nicht weit. Man lernt auf Reisen, intuitiv zu handeln, zu improvisieren und authentisch zu bleiben. Man entwickelt ein Gespür für Leute, die noch wenig Kontakt mit unserer Kultur hatten. Man muss sich anpassen oder unterordnen.
Und wie schafft man eine Vertrauenskultur?
Auch hier ist Vorleben wichtig. Unsere CEOs wissen, dass der Verwaltungsrat ihnen viel Vertrauen schenkt. Sie können sich entfalten und entscheiden. Wenn sie etwas für richtig halten, dann sollten sie es machen. Vertrauen heisst aber auch, dass sie Verantwortung übernehmen müssen – und zwar nicht, indem sie sich mit Beratungsfirmen absichern. Diese Unkultur, Berater beizuziehen, wurde in den letzten Jahren immer ausgeprägter.
«In puncto Mitarbeitertreue ist die St.Galler Filiale die Nummer eins in der Schweiz.»
Was ist gerade der «letzte Schrei» auf dem Reisemarkt für verantwortungsbewusste Reisende?
Japan und Sri Lanka sind sehr beliebt, Ozeanien und Südostasien laufen gut. Afrika ist mit Namibia, Botswana, Simbabwe oder Sambia seit einigen Jahren im Trend. Der US-Markt ist momentan etwas eingebrochen. Das hat einerseits mit der aktuellen Regierung zu tun, andererseits ist das Land auch teurer geworden.
Welche Ihrer unternehmerischen Entscheide waren für Globetrotter wichtig für den langfristigen Erfolg?
Vor 17 Jahren wollte Kuoni uns kaufen. Damals waren Globetrotter-Gründer Walter Kamm und ich beteiligt. Wir empfanden einen Verkauf schlussendlich als Verrat gegenüber Mitarbeitern und Kunden. Der Nicht-Verkauf war richtig; daraus entstand die heutige Globetrotter Group. Wir entschieden uns für eine Strategie, uns Nischenunternehmen mit offenen Nachfolgefragen «anzulachen». Ich halte es zudem für richtig, dass wir bis heute nicht in der Romandie vertreten sind: Eine Kultur lässt sich nicht einfach dorthin transferieren und von Bern aus steuern.
Woher wissen Sie, dass das ein guter Entscheid war?
Das sagt mein Bauch. Der sagt mir auch, dass es richtig war, dass wir bei allen übernommenen Unternehmen der Gruppe ihren Brand und ihre Kultur nicht verändert haben. Hochdekorierte Professoren und erfolgreiche Unternehmer rieten mir dazu, nicht weiterhin zwölf Marken zu pflegen. Wir sollten «Globetrotter Sprache», «Globetrotter Tauchen», «Globetrotter Bike», «Globetrotter Politik» als Marken führen. Wir taten es nicht.
Ende Oktober halten Sie das Referat am WTT Young Leader Award. Was werden Sie den jungen und den gestandenen Leadern mitgeben?
Die Welt ist in grossen Veränderungen. Im Wind des Wandels bauen die einen Schutzmauern, die anderen Windmühlen. Vertrauen, Mut und Verantwortung übernehmen sind ganz wichtig – auf den Bauch zu hören, auch wenn Berater oder Verwaltungsräte etwas anderes sagen. Es braucht den Mut, Umwege zu gehen, auch wenn damit keine Boni und Incentives zu holen sind. Amen.
WTT Young Leader Award Am Mittwoch, 29. Oktober, tritt André Lüthi am WTT Young Leader Award mit seinem Referat «Erfolg kommt nicht von folgen» auf. In der Tonhalle St.Gallen werden die besten Wirtschaftsstudenten der OST – Ostschweizer Fachhochschule mit ihren Praxisprojekten ausgezeichnet. Das Leitthema heisst «Breaking the Rules».