Wirtschaft

Harte Schnitte oder lange Geduld?

Harte Schnitte oder lange Geduld?
Urs H. Toedtli, Stefan Künzler, Albert Pflugfelder und Markus Ganter
Lesezeit: 4 Minuten

Mitte Juni fand in St.Gallen das CEO Forum 2025 statt. Über 100 CEOs und Verwaltungsräte diskutierten mit prominenten Gästen wie Zeno Staub, Philip Mosimann, Christof Chapuis oder Claudio Minder über Erfolgsfaktoren im Turnaround-Management. Im Anschluss sprachen wir mit den Senior Executive Advisors der Organisatorin, der Beerligroup AG aus Niederteufen, die Führungskräfte während Phasen des Wandels begleitet: Markus Ganter, Stefan Künzler, Urs H. Toedtli und Albert Pflugfelder über eben dieses Thema.

Markus Ganter, Stefan Künzler, Urs H. Toedtli, Albert Pflugfelder, wie kommt es überhaupt zu einem Turnaround?
Ganter: Eine finanzielle Notlage entsteht, wenn Umsätze sinken und Kosten steigen. Der Gewinn sinkt deutlich unter die Kapitalkosten oder wird sogar negativ. Das kann externe Gründe haben, wenn angestaubte Produkte und Services durch neuere ersetzt werden oder Kosten wie Material, Energie oder Zölle sprunghaft steigen. Oft sind es aber interne Gründe, wie ein veraltetes Angebot oder ineffiziente Fertigungskosten, die zu einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit führen.

Kann ein Turnaround denn nicht vermieden werden?
Ganter: Nicht immer. Die Schieflage eines Unternehmens ist oft ein schleichender Prozess, der von einem langjährigen Führungsgremium nicht aktiv angegangen wird. Angst oder Ignoranz resultieren in die Einstellung: «Da muss man halt durch». Das verleugnet die Realität und verschenkt wertvolle Zeit und Ressourcen, um Probleme zu erkennen und Veränderungen herbeizuführen. 

Grossunternehmen haben oft tiefere Taschen. Führt das in Krisen eher zu Selbstgefälligkeit oder zu konsequentem Handeln?
Künzler: Es gibt in der Tat die Gefahr, dass ein finanzielles Polster zu Zögerlichkeit verleitet. Die entscheidende Frage ist, ob man eine Krise frühzeitig erkennt und entschlossen handelt. In vielen Fällen wird zu lange abgewartet, was den notwendigen Turnaround später umso schmerzhafter macht.

«Ein finanzielles Polster kann in der Krise gefährlich sein – es verführt zum Abwarten, wo rasches Handeln nötig wäre.»

Und wie verhindert man, dass ein Turnaround in einem börsennotierten Unternehmen zur reinen PR-Übung wird?
Toedtli: Echte Substanz statt schöner Worte – die Kapitalmärkte durchschauen reine PR-Massnahmen schnell. Ein glaubwürdiger Turnaround zeigt sich an harten Fakten wie Kostensenkungen, neuen Geschäftsmodellen oder einer gestärkten Marktposition.

Wann ist es besser, eine Sparte komplett abzustossen statt endlos zu sanieren?
Künzler: Wenn ein Geschäftsfeld nicht mehr zur strategischen Ausrichtung passt oder strukturell unrentabel ist, kann ein Verkauf oder eine Schliessung der beste Schritt sein. Das erfordert Mut, aber oft ist es der einzige Weg, um ein Unternehmen insgesamt zu stärken.

Wann braucht es im Industrie-Turnaround radikale Schnitte – und wann Geduld?
Toedtli: Man muss zwischen kurzfristigen Massnahmen und nachhaltiger Transformation unterscheiden. Schnelle Einschnitte sind oft unumgänglich, um Liquidität zu sichern. Gleichzeitig darf man die langfristige Innovationskraft nicht gefährden.

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Wie orchestriert man einen Turnaround über eine gesamte Wertschöpfungskette?
Toedtli: Industrieunternehmen hängen von Lieferanten, Produktionskapazitäten und Kunden ab. Ein erfolgreicher Turnaround muss daher alle Beteiligten einbinden und oft auch externe Partner mit ins Boot holen.

Welche Rolle spielt dabei ein externer Advisor oder Geschäftsführer auf Zeit?
Ganter: Wenn Inhaber und Unternehmensleitung ein ungutes Gefühl bekommen, ob ein Unternehmen noch wettbewerbs- und zukunftsfähig ist, wird es Zeit, unbefangene und erfahrene Personen an Bord zu holen – für eine ganzheitliche Analyse, Konzepterstellung und Umsetzung. Diese Ressource bietet zusätzliches Know-how und Kapazität, um die Weiterführung des Tagesgeschäfts neben der Restrukturierung zu ermöglichen. Um einen Turnaround zu vermeiden, ist es sehr zu empfehlen, unabhängige Personen im Verwaltungsrat zu haben, welche ein aktives Risikomanagement und Sparring mit der Geschäftsleitung zur konstanten Verbesserung betreiben.

Ist das mittlere Management eher Bremse oder Motor des Wandels?
Pflugfelder: Es gibt beides. Manche fördern aktiv den Wandel, andere blockieren ihn aus Angst oder Unsicherheit. Das mittlere Management ist in der «Sandwichposition». Deshalb ist zwingend eine sorgfältige «Change Mindset Analyse» durchzuführen – um die Veränderungsbereitschaft der Betroffenen zu prüfen. Es gibt Führungskräfte, die von sich aus kommunizieren, dass sie die Transformation nicht durchmachen möchten. Die Herausforderung ist, das Potenzial der veränderungsbereiten Führungskräfte in der mittleren Ebene zu nutzen und die besten als «Change-Ambassadoren» einzusetzen.

«Veränderungsbereite Führungskräfte im mittleren Management sind der Schlüssel – sie müssen als Change-Ambassadoren wirken.»

Und ist es schwieriger, Aktionäre oder Mitarbeiter von schmerzhaften Einschnitten zu überzeugen?
Toedtli: Beide Gruppen haben unterschiedliche Interessen. Aktionäre erwarten Ergebnisse, Mitarbeitende Stabilität. Der Schlüssel liegt in klarer Kommunikation und einer Perspektive, die über kurzfristige Einsparungen hinausgeht. 

Wie holt man die Belegschaft mit ins Boot?
Toedtli: Offene Kommunikation, Perspektiven aufzeigen und vor allem mit gutem Beispiel vorangehen. Wer als Unternehmer glaubhaft vermittelt, dass er selbst Opfer bringt, erhöht die Akzeptanz für schmerzhafte Massnahmen.

Ist die langfristige Perspektive von Familienunternehmen im Turnaround ein Vorteil – oder eine Illusion?
Toedtli: Sie kann ein Vorteil sein, weil man unabhängiger von kurzfristigen Renditeerwartungen ist. Allerdings neigen Familienunternehmer manchmal dazu, zu emotional an alten Strukturen festzuhalten.

Wird die aktuelle geopolitische Unsicherheit die nächste Turnaround-Welle auslösen?
Toedtli: Definitiv. Lieferkettenprobleme, Inflation und neue Marktbedingungen werden viele Unternehmen zwingen, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken.

Text: Stephan Ziegler

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

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