Warum die Ostschweiz mehr Mut zum FinTech braucht

Laut Andrea Barbon, Assistenzprofessor am Center for Financial Services Innovation der Universität St.Gallen, nimmt die Ostschweiz eine eigenständige Position ein: «Obwohl der Schweizer FinTech-Markt stagniert und Liechtenstein derzeit stärker wächst, bietet die Ostschweiz klare Spezialisierungschancen. Die enge Verzahnung von akademischen Institutionen, Unternehmen und regionalen Behörden macht sie als Standort für innovative Nischenprodukte besonders attraktiv.»
Liechtenstein wächst – kann die Ostschweiz mithalten?
Liechtenstein nimmt im DLT-Bereich eine führende Rolle ein. Dies liegt an regulatorischer Klarheit, staatlicher Unterstützung und einer offenen Haltung gegenüber neuen Finanztechnologien. «Diese Faktoren ziehen internationale Unternehmen an, die regulatorische Sicherheit und Zugang zum europäischen Markt suchen», so Barbon.
Für die Ostschweiz ergeben sich daraus relevante Spillover-Effekte. «Durch die geografische Nähe und wirtschaftliche Verflechtung könnten erhebliche Synergien entstehen. Besonders in den Bereichen RegTech und Compliance-Lösungen könnte die Ostschweiz von Know-how-Transfer und Kooperationen profitieren», sagt Barbon.
«Die Ostschweiz punktet mit Spezialisierung und enger Vernetzung.»
Zwischen Chancen und Hürden: FinTech in der Ostschweiz
Laut fintechmap.ch gibt es im Kanton St.Gallen derzeit sechs FinTech-Unternehmen, darunter die bekannten Bexio und Kaspar&. Der Thurgau beherbergt vier weitere FinTech-Firmen, während in Appenzell Innerrhoden und Appenzell Ausserrhoden jeweils nur ein Unternehmen ansässig ist. Trotz dieser Präsenz bleibt die Ostschweiz hinter den etablierten FinTech-Hubs Zürich und Zug zurück. «Die grössten Stärken der Region liegen in der engen Vernetzung lokaler Akteure, niedrigeren Betriebskosten und dem Zugang zu akademischen Talenten», bricht der HSG-Professor eine Lanze für die Ostschweiz.
Dennoch bestehen Herausforderungen: «Der begrenzte Zugang zu Risikokapital, wenige etablierte Kooperationen mit Grossunternehmen und eine geringere internationale Sichtbarkeit erschweren die Entwicklung neuer FinTech-Initiativen.» Diese Faktoren machen gezielte Massnahmen erforderlich, um die Wettbewerbsfähigkeit der Region zu stärken.
«Ohne mehr Finanzierung bleibt die Ostschweiz im FinTech-Schatten von Zürich und Zug.»
Förderstrategie und Positionierung fehlen
St.Gallen nimmt als regionaler FinTech-Hub eine Vorreiterrolle ein, doch eine stärkere Vernetzung zwischen den Standorten könnte das Wachstum weiter fördern. Eine gemeinsame Strategie zur Förderung von FinTech-Start-ups und eine klare Positionierung der Region im nationalen und internationalen Vergleich wären entscheidende Schritte in diese Richtung. «Diese Technologie ermöglicht es, Finanzprodukte direkt in nicht-finanzielle Anwendungen zu integrieren und damit gezielt Branchen wie Handel, Produktion und KMU zu bedienen», streicht Barbon Vorteile heraus.
Künstliche Intelligenz spiele dabei eine zunehmende Rolle. «KI kann die Effizienz steigern, Finanzdienstleistungen personalisieren und regulatorische Anforderungen automatisieren – alles Bereiche, in denen die Ostschweiz ideal positioniert ist», so Andrea Barbon.
Universitäten als FinTech-Katalysatoren
Die Universität St.Gallen und weitere Bildungsinstitutionen sind essenzielle Treiber für die FinTech-Entwicklung in der Ostschweiz. «Die HSG fungiert als Inkubator für innovative Ideen, talentierte Fachkräfte und neue Unternehmensgründungen», sagt Barbon.
Durch spezialisierte Lehrprogramme, Forschungsschwerpunkte im Bereich FinTech und enge Kooperationen mit Unternehmen entstehen fruchtbare Synergien. Programme wie das HSG-Startup-Lab oder das Institut für Wirtschaftsinformatik helfen, praxisnahe Lösungen zu entwickeln und Start-ups beim Markteintritt zu unterstützen. «Um das volle Potenzial auszuschöpfen, sollte der Dialog zwischen Wissenschaft und Wirtschaft aber weiter intensiviert werden», rät der HSG-Professor.
«Mehr Förderung und Vernetzung stärken die Ostschweizer FinTech-Szene.»
Nische mit Nachholpotenzial
Die Ostschweiz steht im Spannungsfeld zwischen etablierten FinTech-Zentren und neuen Wachstumsmärkten. Während Liechtenstein mit regulatorischen Vorteilen punktet und Zürich bessere Finanzierungsmöglichkeiten bietet, kann die Ostschweiz durch ihre Nähe zur Forschung, günstige Rahmenbedingungen und technologische Spezialisierung aufholen.
Ob sich die Region als bedeutender FinTech-Hub etablieren kann, hängt von der Weiterentwicklung ihrer Stärken und gezielten Massnahmen ab. Ein regionales FinTech-Cluster, gezielte Förderprogramme und eine stärkere Vernetzung mit Investoren könnten dazu beitragen, das volle Potenzial der Ostschweiz zu entfalten. Klar ist: Die Chancen sind da – nun gilt es, sie zu nutzen.
Folgende FinTech-Unternehmen sind in der Ostschweiz ansässig
4cash.exchange – 4bridges GmbH (SG) Die Plattform ermöglicht den Handel mit Kryptowährungen sowie die Nutzung von FIAT für Abhebungen und Rechnungszahlungen.
Acatis Service GmbH (AR) Das Unternehmen berät private und institutionelle Kunden zu Investmentfonds und bietet eine wertorientierte Vermögensverwaltung.
Bexio AG (SG) Die cloudbasierte Software vereint CRM, Buchhaltung und Rechnungsstellung für KMU und erleichtert die Geschäftsverwaltung mit Bankanbindung.
Celer Asset Management AG (TG) Das Celer-Modell nutzt datengetriebene Anlagestrategien, um risikooptimierte Erträge für eine systematische Vermögensverwaltung zu erzielen.
Crowdli AG (TG) Die Crowdfunding-Plattform ermöglicht gemeinschaftliche Investitionen in Immobilien.
Divizend Suisse GmbH (TG) Die Software automatisiert die Rückforderung ausländischer Quellensteuern auf Dividenden und erleichtert Anlegern sowie Finanzdienstleistern den Prozess.
Finpact AG (SG) Die Finanzexperten entwickeln moderne Investmentlösungen für die Generation 50+, die auf Kapitalgewinne, Erbschaften und Ersparnisse ausgerichtet sind.
Immocando – Nordrand AG (AI) Die Plattform erleichtert den Handel mit Anlageimmobilien für Investoren und Immobiliendienstleister.
Kaspar& AG (SG) Die App ermöglicht automatisiertes Sparen und Investieren mit jeder Kartenzahlung und kombiniert Gamification mit Finanzbildung.
Text: Patrick Stämpfli
Bild: Philipp Baer