Faszinierender Unternehmenscluster der Präzisionstechnologie

Das St.Galler Rheintal stellt in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte einen faszinierenden, ja einzigartigen Spezialfall dar. Innerhalb von lediglich Jahrzehnten durchlebte es nämlich den dynamischen Wandel von der armen Überschwemmungs- zur florierenden Hochtechnologie-Region.
Vor 100 Jahren: Gründung der Wild Heerbrugg
Ausgangspunkt und Zentrum der heutigen präzisionstechnischen Industrie bildet Heerbrugg, wo der deutsche Flüchtling und Eisenbahnförderer Karl Völker ab den 1860er Jahren mit der Drainage des nassen Landes begann und damit verbunden eine Ziegelei gründete. Diese bildete die Keimzelle des späteren Weltkonzerns der Familie Schmidheiny. Wie deren Stammvater Jacob Schmidheiny (1835– 1905) kamen viele der folgenden Unternehmensgründer aus einfachen Verhältnissen und profitierten von einem erfreulichen Mass an sozialer Durchlässigkeit.
Beim Schlossgut der Familie Schmidheiny in Heerbrugg und mit ihrem Geld entstand 1921 die später in Wild Heerbrugg umbenannte Firma «Heinrich Wild, Werkstätte für Feinmechanik und Optik», die mit den Konstruktionen ihres genialen Chefs die Vermessungstechnik gleich mehrfach revolutionierte. Auch nach Wild Abgang konnte das Unternehmen mit seinen Vermessungsgeräten weltweit überzeugen, gleichzeitig aber auch in anderen Bereichen Fuss fassen. Heute gehört es als Leica Geosystems AG nach wie vor zur Weltspitze.
Eindrücklicher Industriecluster
Ausgehend von Wild Heerbrugg entstand nach dem Zweiten Weltkrieg ein faszinierender Unternehmenscluster der Präzisionstechnologie. Dazu gehört die SFS, die vom Schraubenhändler zum grössten Rheintaler Unternehmen avancierte. Insbesondere in Nischenbereichen, dort aber an der Weltspitze, sind die Unternehmen Plaston, Heule, Berhalter, WZW, Zünd Precision Optics, Oertli Instrumente und Zünd Systemtechnik tätig.
Weiter wird dieser Cluster durch Abspaltungen von Leica Geosystems ergänzt, die von Heerbrugg aus den Weltmarkt bedienen: Swiss Optic, Escatec Switzerland, Vectronix, APM Technica und Polymeca. Sie alle pflegen vielseitige Beziehungen in personeller, technischer und unternehmerischer Sicht.
Über den Autor
Dr. phil. Dieter Holenstein, St.Gallen, studierte Geschichte und Französische Literatur an den Universitäten Freiburg i. Ue., Bern und der Sorbonne in Paris. In Freiburg arbeitete er am Institut für Allgemeine und Schweizerische Zeitgeschichte drei Jahre lang als Assistent von Professor Urs Altermatt, bei dem er 1993 über ein wirtschafts- und sozialgeschichtliches Thema doktorierte.
Nach längeren Studien- und Weiterbildungsaufenthalten in Südamerika, unter anderem in Bogotá, arbeitete er als Gymnasiallehrer auf dem ersten und zweiten Bildungsweg und unterrichtete daneben auch als Dozent für Allgemeine und Schweizerische Zeitgeschichte an der Universität Freiburg. Ausserdem beteiligte er sich immer wieder an historischen Forschungsprojekten.
Holenstein ist ausgewiesener Kenner der Ostschweizer Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Er verfasste zahlreiche Beiträge in Fachbüchern, so auch der neuesten St.Galler Kantonsgeschichte, sowie geschichtliche Themenseiten in der «Neuen Zürcher Zeitung», dem «St. Galler Tagblatt», der «Ostschweiz am Sonntag» und anderen Printmedien. Zudem war er mehrere Jahre Vorstandsmitglied des Historischen Vereins des Kantons St.Gallen. Mit dem St.Galler Rheintal ist der Autor von seiner familiären Herkunft her eng verbunden.
Über die «Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik»
Der Verein für wirtschaftshistorische Studien hat es sich zur Aufgabe gemacht, das wirtschafts- historische Erbe der Schweiz zu bewahren. Mit seiner Buchreihe «Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik» will der Verein Werk und Wirkung von Erfindern, Ingenieuren, Unternehmern und Wissenschaftlern der Schweiz einem breiteren Publikum bekannt machen.Zugleich dokumentieren die Pionierbände, dass auch in Zeiten raschen Wandels schöpferisches Denken und unternehmerische Tatkraft für Gegenwart und Zukunft wegweisend sind. Seit 1950 sind in bislang 118 Publikationen herausragende Persönlichkeiten und bemerkenswerte Unternehmen porträtiert worden. Der Verein umfasst über 600 Mitglieder. Nebst zahlreichen Journalisten befinden sich darunter namhafte Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft.