Die Ressource Nachwuchs wird knapp

Die Ressource Nachwuchs wird knapp
Karrierestart mit einer Berufslehre: Isabell Rohner ist Polymechanikerin bei der SFS.
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In den nächsten Jahren stehen stets weniger Jugendliche vor der ­Entscheidung, eine Berufsausbildung oder eine gymnasiale Matura anzustreben. Das Buhlen um die Fachkräfte von morgen nimmt zu.

Prognosen haben manchmal etwas Erheiterndes – wenn man sie rückblickend betrachtet. Schon zu Beginn der Industrialisierung wurde befürchtet, dass Maschinen die menschliche Arbeitskraft überflüssig machen. Tatsächlich gab es seither auch Phasen mit hoher Arbeitslosigkeit – die aber kaum durch den Grad der Technisierung hervorgerufen wurden. Auch der Computer und, mit ordentlicher Verspätung, eine nun einsetzende konsequente Digitalisierung, haben nicht zu einem Einbruch der Beschäftigung geführt. Ganz im Gegenteil: Die Wirtschaft floriert, und Arbeitskräfte sind gefragt wie noch nie. Allerdings vielfach in Jobs, die es vor wenigen Jahren gar noch nicht gab. Gefragt sind grundsätzlich Menschen, die etwas können: Fachkräfte.

Da hat die Schweiz etwas zu bieten, wie man nüchtern festhalten darf: In Werkhallen und Bürotürmen sind durchwegs Leute am Werk, die etwas können. Die hiesige Wirtschaft ist innovativ, produktiv und wettbewerbsfähig, was nicht das Verdienst einiger weniger ist, sondern eines im Vergleich ziemlich bemerkenswerten Gesamtkunstwerks: Neben einer immer noch einigermassen liberalen Wirtschaftsordnung, die findigen Köpfen Bewegungsfreiheit lässt, hat die Schweiz mit der dualen Berufsbildung ein Plus im Bildungssystem, das im Ausland oft bewundert und selten verstanden wird.

Die Schweiz hat mit der dualen Berufsbildung ein Plus im Bildungssystem, das im Ausland oft bewundert und selten verstanden wird.

Importierte Fachkräfte

Sowohl über die Berufsbildung als auch über die akademische Ausbildung produziert die Schweiz Jahr für Jahr einen beträchtlichen Teil jener Fachkräfte, die das Rückgrat unserer Wirtschaft sind. Doch weil die Wirtschaft erfolgreich ist, braucht sie noch mehr Fachkräfte. Manche finden sich, wenn man über den Tellerrand schaut: Über 340 000 Grenzgänger, 6,7 Prozent aller Beschäftigten, zählte das Bundesamt für Statistik für 2020. Weil das immer noch nicht reicht, ist auch die Zuwanderung ein wichtiges Reservoir an Fachkräften. 141 000 Ausländer zogen 2021 in die Schweiz, während 74 000 das Land verliessen (Zahlen ohne Flüchtlinge). 138 000 davon kamen, um hier zu arbeiten.

Während in der Bevölkerungsstatistik vor 50 Jahren die Altersgruppen 5-9 Jahre, 20-24 Jahre und 25-29 Jahre mindestens doppelt so gross waren wie etwa die Gruppe der 65-69-Jährigen, zeigt sich für 2020 ein völlig anderes Bild: Die grössten Gruppen sind 50-54 Jahre und 55-59 Jahre. Von 0-4 Jahre bis zu 15-19 Jahre sind alle Altersklassen deutlich kleiner. Das bedeutet: Während bald eine grosse Zahl der Erwerbstätigen vor der Pensionierung steht, treten weniger junge Leute neu ins Erwerbsleben ein. Wenn die Wirtschaft nicht einen grossen Dämpfer erfährt, wird die Klage über den Fachkräftemangel noch lauter. Und es wird absehbar mit härteren Bandagen um den talentierten Nachwuchs gekämpft.

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Tiefe Matura-Quoten in der Ostschweiz

Während im Schweizer Durchschnitt rund 22 Prozent der Jugendlichen eine gymnasiale Matura ablegen, ist dieser Anteil in der Ostschweiz durchwegs tiefer: Appenzell Ausserrhoden liegt im Bereich von 16.5 Prozent, Appenzell Innerrhoden mit stark schwankenden Zahlen meldete zuletzt 19 Prozent, im Thurgau und in St.Gallen sind es etwas über 15 Prozent. Weil der Kanton St.Gallen verlauten liess, die Matura-Quote «leicht erhöhen» zu wollen, befürchten nun viele Verfechter der dualen Berufsausbildung, dass man ihnen in einer Situation, in der es ohnehin schwierig ist, alle Lehrstellen zu besetzen, die potenziell besten Stifte wegschnappt.

Im St.Galler Rheintal wird die duale Berufsausbildung seit je her besonders geschätzt, hier hat auch die Hans-Huber-Stiftung ihren Sitz, die sich konsequent für die Berufslehre als «Ausbildungssystem, das am Ursprung der Wettbewerbskraft unseres Landes steht» einsetzt. Die Maturaquote im Rheintal ist besonders tief, Bestrebungen, das zu ändern, finden auch hier nicht nur Beifall.

Gegenüber SRF verteidigte der St.Galler Bildungsdirektor Stefan Kölliker in diesem Sommer die Absicht, die Matura-Quote etwas anzuheben: «Wer eine Mittelschule oder Matura wählt, wählt in der Regel auch ein Studium. Das ist wiederum im Interesse der Unternehmen. Man braucht qualifiziertes Personal auf allen Stufen.»

Qualifiziertes Personal bekommt man dann, wenn die richtigen Leute die richtigen Ausbildungswege einschlagen, darin besteht weitgehend Einigkeit. Es hätte also sein Gutes, wenn Bildungsinstitutionen und Wirtschaftsorganisationen durch die Knappheit der Ressource Nachwuchs dazu angestachelt werden, ihre Ausbildungswege offensiver zu präsentieren. Die Jugendlichen hätten noch mehr Möglichkeiten als heute, nicht nur ihre Fähigkeiten zu vermessen, sondern vor allem ihre Interessen zu entdecken.

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