Wirtschaft

Aus St.Gallen ins All

Aus St.Gallen ins All
Christian Schmidli: Verstärken und verbessern
Lesezeit: 5 Minuten

Der gelernte Fahrzeugmechaniker und studierte Ökonom Christian Schmidli aus St.Gallen hat ein Verfahren entwickelt, mit dem Metall- und Kunststoffteile halt- und belastbarer gemacht werden können. Dank seiner Kältebehandlung halten etwa auch Satellitenkomponenten länger.

Christian Schmidli, Ihr Start-up Cserv (Cryogenic Services) hat sich auf Kryogenik spezialisiert. Was ist Kryogenik?
Kryogenik ist abgeleitet vom griechischen Wort «cryo» – «Kälte». Mit dem Verfahren werden Materialien und Komponenten kontrolliert äusserst tiefen Temperaturen ausgesetzt. Dabei laufen verschiedene Vorgänge ab, welche die Produkte stärker und langlebiger machen. Schweizer Uhrmacher haben das Verfahren in einfacher Form schon im letzten Jahrhundert zu Hilfe genommen: Sie lagerten Uhrwerksteile über längere Zeit im Eis mit der Absicht, das Endprodukt noch präziser zu machen. Obwohl das Verfahren also nicht unbekannt ist, wird es wenig angewendet.

Cserv ist aus Ihrer Tätigkeit im internationalen Kartrennsport entstanden – Sie tunen seit Jahren Karts Ihres Sohnes Titus-Shanghai Schmidli (*2002). Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dass Karts dank Kryogenik schneller werden können?
Im Motorsport geht es um Hundertstelsekunden, die über Sieg oder Niederlage entscheiden. Unsere Tuningwerkstatt ist eine der modernsten, und wir arbeiten mit den besten Industriepartnern aus England, Italien und den USA zusammen. Dieses Netzwerk ermöglicht Weiterentwicklungen auf hohen Niveau, die auch Tests auf dem Prüfstand und auf der Rennbahn beinhalten. Mittlerweile schicken uns Teams aus Neuseeland ihre Motoren, um sie zu verbessern. Zu Ihrer Frage: In einem ersten Verfahren haben wir mithilfe eines speziellen Keramikverfahrens Tribologie und Stärke von Komponenten verbessert. Der nachfolgende Schritt in die Kryogenik hat uns geholfen, noch bessere und stabilere Resultate zu erreichen. Dazu haben wir über aufwendige Laboruntersuchungen verschiedene Temperaturprofile für spezifische Materialien herausgearbeitet. Einer unseren früheren Sponsoren, ein renommierter Schweizer Uhrenhersteller, ist an der Kombination des Keramikverfahrens mit der Kryogenik ebenfalls interessiert. Dieser Austausch ist für alle eine Win-win-Situation.

Die APM Technica AG aus Heerbrugg von Unternehmerpreis-Gewinner Arthur Philipp ist einer der Hauptsponsoren Ihres Sohnes. Wieviel Technik von APM steckt in Titus-Shanghais Kart?
Sehr viel! Die APM Technica hat eines der modernsten Labore für Entwicklung und Testen von Klebstoffen und Materialien. Die APM-Spezialisten hatten bei der Entwicklung des Keramikverfahrens einen grossen Anteil, weil wir die Oberflächen der verschiedenen Materialien am Motor und Chassis untersuchen und verbessern konnten. Arthur Philipp hatte schon in seinem Studium mit dem Kryogenik-Verfahren zu tun und war angetan von meinen Plänen, Kryogenik-Know-how in der Ostschweiz aufzubauen. Es ist auch deshalb eine Win-win-Situation, weil die APM in den letzten drei Jahren viel in die Satellitenentwicklung investiert hat und ich zum gleichen Zeitraum angefangen habe, mich mit der Tieftemperaturbehandlung auseinanderzusetzen. Als ich Mitte 2020 Arthur Philipp mitgeteilt habe, dass ich beabsichtige, in eine Kryogenik-Anlage investieren, war er sehr interessiert.

 

«Uhrmacher haben das Verfahren in einfacher Form schon im letzten Jahrhundert zu Hilfe genommen.»

Werkstoffspezialisten gehen aber wohl mit anderen Fragen und Ansprüchen an das Kryogenik Verfahren heran?
Ja. Zum Beispiel konnten wir zwar Verbesserungen an unseren Motoren auf dem Prüfstand messen, aber durch traditionelle Messmethoden im Labor keine Änderungen feststellen … Daraufhin haben die Spezialisten von APM ein Messverfahren gefunden, das die Änderungen durch die Kryogenik genau aufzeigen. Das dürfte weltweit eine der einzigen Messmethoden dieser Art sein.

Jetzt produziert die APM Technica auch Ausrichtmodule für Satelliten, die in Laser-Terminals für die Kommunikation bei Satelliten eingesetzt werden. Diese Module richten Laserstrahlen für die Informationsübertragung hochpräzis zwischen Erde und Satellit sowie zwischen einzelnen Satelliten aus. Behandelt die Cserv auch Komponenten für diese Module?
Ja. Ich darf hier zwar keine Details preisgeben. Tatsächlich werden aber auch von uns Kryogenik-behandelte APM-Komponenten in Satelliten eingesetzt.

Bei Komponenten für den Outer-Space-Bereich werden bei der Kryogenikbehandlung mit Temperaturen von bis zu minus 273 Grad gearbeitet. Ihre Anlage ist bis minus 196 Grad ausgelegt. Wie können Sie trotzdem Komponenten für Satelliten behandeln?
Minus 273 Grad – der absolute Nullpunkt – ist eine Temperatur, die auf der Erde nur annähernd und in Labors erreicht wird. In der USA gibt es eine einzige Anlage, in welcher ganze Raumstationen bei diesen Temperaturen getestet werden. Es geht aber nicht nur um die eigentliche Temperatur, sondern auch um ihre Schwankungen, denen Komponenten ausgesetzt sind. Unsere Anlage ist zwar konstruktiv so ausgelegt, um noch tiefere Temperaturen als minus 196 Grad zu erreichen. Allerdings ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis für noch tiefere Temperaturen nicht vertretbar. Deshalb wenden wir verschiedene Zyklen über mehrere Tage an. Das genügt für unsere Applikationen in der Raumfahrt und im Motorsport.

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Wie werden diese Tieftemperaturen erreicht?
Wir arbeiten vorwiegend mit Flüssigstickstoff. Die Anlage ist so konstruiert, dass die Verluste minimal sind, um eine maximale Stickstoff Effizienz zu erreichen. Der Betrieb muss natürlich unter strikten Sicherheitsmassnahmen erfolgen.

Ihre Kryogenik-Anlage wurde von ehemaligen MIT-Mitarbeiter entwickelt. Es ist die einzige in der Schweiz und steht in St.Gallen. Warum ist noch sonst niemand auf die Idee gekommen, Komponenten mittels Kryogenik zu behandeln?
Es ist sogar die einzige kommerzielle Anlage dieser Art in Europa! Die Technologie ist wohl nicht neu, wurde aber weitgehend unterschätzt oder nur teilweise angewendet. Es gibt zwar ähnliche Anlagen, die aber nur bis etwa minus 120 Grad kühlen und nicht präzise gesteuert werden können. Unsere Stärke liegt darin, dass wir mit dem Entwickler sehr eng zusammenarbeiten und auf seine jahrzehntelange Erfahrung zurückgreifen können. Darum ist es uns auch möglich, F&E-Projekte für Firmen zu planen und durchzuführen. Zum Beispiel haben wir schon Versuche mit verschiedenen Kunststofftypen durchgeführt und konnten diese verstärken oder reibungstechnisch verbessern.

Dann ist das Kryogenik-Verfahren bei Metallen und Nichtmetallen anwendbar?
Absolut! Zum Beispiel bei Gehäusen, Getriebe- und Motorenkomponenten oder bei Bearbeitungswerkzeugen für Holz und Stahl. Die Anwendungsgebiete sind schier unendlich, etwa in Automotive, Werkzeugindustrie, Medtech, Luft- und Raumfahrt. Es gibt auch ganz spassige Anwendungen: Wir haben schon Blasinstrumente behandelt, die nach dem Verfahren besser zu spielen sind. Kürzlich habe ich Einweg-Rasiermesser behandelt und mir extra für eine Woche einen Bart wachsen lassen. Die behandelten Messer waren wirklich um einiges besser. Das Ganze hat also auch einen Nachhaltigkeitseffekt: Ist doch schön, wenn man ein Rasiermesser nicht nach einer Anwendung wegwerfen muss, oder? Anfang November konnten wir behandelte Bremsscheiben im Renneinsatz bei einem Werksteam auf dem Nürburgring testen. Diese Scheiben werden normalerweise nach dem Zeitfahren ausgewechselt, was in unserem Fall nicht mehr nötig war. Wir wollen nun gezielt Applikationen entwickeln, bei denen es um Materialeinsparungen und Nachhaltigkeit geht. Daher ist die E-Mobilität ein spannendes Thema für uns.

Jetzt hat die Kryogenik einen etwas zweifelhaften Ruf im Zusammenhang mit dem Einfrieren von Leichen gewonnen, die eines Tages wieder aufgetaut werden sollen, wenn Technik und Medizin soweit fortgeschritten sein sollen, dass Wiederbelebungen möglich wären. Damit hat Cserv aber nichts am Hut, oder?
Nein, überhaupt nicht. Sie sprechen die Kryonik an. Damit haben wir gar nichts zu tun, obwohl unsere Anlage konstruiert ist, um auch grosse Teile zu behandeln. Schön wäre es einmal, einen kompletten F1-Motor zu behandeln!

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