«Einschreiten, bevor etwas passiert»
Manuel Niederhäuser, seit 2018 gibt es bei der Kantonspolizei St.Gallen die Abteilung Bedrohungs- und Risikomanagement. Worum geht es in Ihrer Arbeit und wer kann sich an Sie wenden?
In Betrieben kann es zu Drohungen kommen, eine Angestellte wird gestalkt, einem bedrohlich wirkenden Mitarbeiter muss gekündigt werden oder die Personalverantwortlichen erfahren, dass jemand unter häuslicher Gewalt leidet. Wir sind eine zentrale Anlaufstelle für Ämter, Behörden, Gemeinden, Schulen, Spitäler, aber auch Unternehmen, wenn Bedrohungen oder eskalierende Konflikte auftreten. Unser Ziel ist es, schwere Gewalt zu verhindern, bevor sie entsteht. Wir analysieren Situationen, beraten und begleiten Betroffene – und das alles vertraulich und niederschwellig. Es ist nicht nötig, dass bereits eine Straftat vorliegt. Entscheidend ist das Gefühl oder die Befürchtung, dass eine Situation aus dem Ruder laufen könnte.
Das klingt nach einem Paradigmenwechsel.
Ja, definitiv. Früher hiess es oft: «Solange nichts passiert ist, kann die Polizei nichts tun.» Heute sehen wir das anders. Wir handeln, bevor etwas passiert – im Idealfall, bevor eine Drohung tatsächlich umgesetzt wird. Das Bedrohungsmanagement versteht sich als präventives Instrument, nicht als reaktives.
Mit welchen Themen treten Unternehmen am häufigsten an Sie heran?
Am häufigsten geht es um Drohungen von Kunden, entlassenen Mitarbeitenden oder Personen aus dem privaten Umfeld. Solche Situationen belasten Teams stark und führen nicht selten zu Unsicherheit, Angst oder Krankheit. Genau dort setzen wir an. Wir helfen, die Lage einzuschätzen, beraten und schlagen geeignete Massnahmen vor. Es gibt den Betroffenen Sicherheit, wenn sie wissen, dass sie professionelle Unterstützung erhalten.
«Bei konkreten und schweren Drohungen ist eine Strafanzeige wichtig und richtig.»
Wie erkennt man, ob jemand eine Drohung tatsächlich umsetzen könnte?
Man kann sagen, dass glücklicherweise nur selten Drohungen in die Tat umgesetzt werden. Sehr oft wird eine Drohung geäussert, um eine Forderung durchzusetzen. Je konkreter eine Drohung, desto grösser jedoch das Risiko. Wenn jemand etwa sagt, was er wann tun will, oder sich auffällig verhält, ist das ernst zu nehmen. Wir schauen uns in solchen Fällen nicht nur den Wortlaut, sondern auch das Verhalten und allfällige Risiko- und Schutzfaktoren der drohenden Person an. Wichtig ist: Lieber sich einmal mehr bei uns melden, als zu spät – und nachher sagen zu müssen: «Hätten wir doch …»
Gibt es Möglichkeiten, einzugreifen, bevor eine Straftat begangen wird?
Bei konkreten und schweren Drohungen ist eine Strafanzeige wichtig und richtig. Wir erhalten aber auch Meldungen über niederschwellige Drohungen, Beschimpfungen oder Beleidigungen, bei denen es ausreicht, ein sogenanntes Grenzziehungsschreiben zu erstellen. Darin werden die überschrittenen Grenzen klar benannt und unmissverständlich festgehalten, dass solches Verhalten nicht toleriert wird. Wenn strafrechtlich noch nichts passiert ist, aber Verdachtsmomente bestehen, dass es zu einer Eskalation kommen könnte, sprechen wir die gefährdende Person persönlich an. Wir versuchen, deeskalierend zu wirken und die möglichen Folgen ihres Handelns aufzuzeigen.
Wie können KMU vorbeugen, damit Bedrohungslagen gar nicht erst entstehen?
Sicherheit beginnt mit guter Kommunikation und klaren Abläufen. Wer intern Zuständigkeiten und Eskalationswege definiert, schafft Vertrauen und verhindert Panik. Schulungen zum Umgang mit schwierigen Situationen, frühzeitige Gespräche und ein offenes Ohr für Mitarbeiter sind zentrale Elemente. Ein gesundes Arbeitsklima ist die beste Prävention. Schlecht ist es, wenn Vorgesetzte bei Bedrohungen wegschauen, diese und damit ihre Mitarbeiter nicht ernst nehmen oder Drohungen verharmlosen oder selbst einschätzen wollen.
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«Unsere Abteilung kann jederzeit niederschwellig kontaktiert werden.»
Bietet die Kantonspolizei auch Unterstützung oder Schulungen an?
Bei Unsicherheiten kann unsere Abteilung jederzeit kontaktiert werden, um sich beraten und die verschiedenen Möglichkeiten aufzeigen zu lassen. Konkrete Verhaltensschulungen können wir aus Kapazitätsgründen leider nicht anbieten. Hier gibt es private Anbieter, die sich darauf spezialisiert haben. Bedrohungsmanagement gehört meines Erachtens aber immer in die Hände der Polizei, da nur wir über die notwendigen Informationen für eine professionelle Einschätzung verfügen und uns täglich damit befassen.
Sie sprechen von interdisziplinärem Arbeiten. Wie sieht diese Zusammenarbeit in der Praxis aus?
Mein Team besteht aus erfahrenen Mitarbeitenden der Polizei und einer forensischen Psychologin. Die Zusammenarbeit kann sich aber rasch auf weitere Behörden wie KESB, Staatsanwaltschaft, Opferhilfe oder soziale Dienste ausweiten.
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen im Kontakt mit KMU?
Viele KMU sind sehr pragmatisch – was gut ist. Gleichzeitig fehlt oft das Bewusstsein, dass Bedrohungssituationen auch sie betreffen können. Nicht nur grosse Firmen oder Behörden sind gefährdet. Gerade in kleinen Betrieben mit engem Kundenkontakt oder emotional belastenden Themen kann eine Eskalation schnell entstehen. Unsere Abteilung kann jederzeit niederschwellig kontaktiert werden, um eine erste Einschätzung vorzunehmen – selbstverständlich kostenlos, was in der Wirtschaft ja immer ein Thema ist.
Text: Stephan Ziegler
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer