Ostschweiz

Digital ade?

Digital ade?
Roger Tinner
Lesezeit: 7 Minuten

Es ist noch nicht lange her, dass uns Corona zum kollektiven Daheimbleiben gezwungen hat. Veranstaltungen wurden online abgehalten, damit möglichst niemand vor Ort sein musste und sich anstecken konnte. Jetzt kehren die «richtigen» Veranstaltungen wieder zurück – ist das digitale Veranstaltungszeitalter so schnell vorbei, wie es gekommen ist? Hans-Willy Brockes, Roger Tinner und Reinhard Frei kennen die Antworten.

Text: Fabian A. Meyer

Während Corona war es die normalste Sache der Welt, online an Veranstaltungen teilzunehmen. Sei es Homeschooling, Homeoffice oder der Besuch einer virtuellen Messe. Jetzt ist die Pandemie vorüber – jedenfalls zu einem grossen Teil. Haben sich die Veranstaltungen erholt und können sie die Teilnehmer wieder in die Seminarräume locken? Der LEADER hat bei bekannten Event-Veranstaltern der Ostschweiz nachgefragt.

Sterben die digitalen Veranstaltungen aus?

«Tatsächlich hat Corona die digitalen Events gepusht. Viele der damals auch neu entstandenen Formate sind geblieben», eröffnet Roger Tinner, Geschäftsführer der Alea Iacta AG aus St.Gallen, das Gespräch. «Das gilt besonders für die internationale Ebene, auch wenn es in diesem Bereich prominente Gegenbeispiele wie den Startup Summit in St.Gallen gibt.»

Doch wollen die Veranstalter überhaupt wieder zurück vor Ort? «Sobald Veranstaltungen ohne Beschränkungen auch vor Ort wieder möglich wurden, also vor ziemlich genau zwei Jahren, sind die meisten schon vor Corona etablierten Veranstaltungen zur Durchführung in Person zurückgewechselt.» Der fehlende Begriff für solche Events zeige, dass man von einer Vor-Ort-Durchführung ausgeht, wenn die Begriffe «Online-Event» oder «Virtueller Event» fehlen.

Heisst das, dass die digitalen Veranstaltungen bereits wieder aussterben? «Natürlich nicht! Unternehmen und Verbände, denen die CO?-Minderung wichtig ist, setzen stark auf virtuelle Gefässe, wenn es um interne und externe Meetings sowie Kundentermine geht», so Tinner. Überall dort, wo Kontakte zu neuen Kunden und der Aufbau persönlicher Netzwerke wichtig ist, seien aber digitale Veranstaltungen schlechter geeignet als die «Klassiker».

Der digitale Kontakt lässt die persönlichen Momente vermissen, die für den Aufbau der Kundenbindung dermassen wichtig sind. Sei es der Handschlag zu Beginn und am Ende eines Gespräches oder das Anbieten eines Kaffees. «Die Distanz ist hier nicht nur metaphorisch, sondern real», resümiert Tinner.

 

«Wir sind soziale Wesen. Hinter einem Bildschirm funktionieren wir anders als bei einer Begegnung im echten Leben.»

Hans-Willy Brockes

Corona-Trend wieder rückläufig

Und dennoch schien es lange so, als seien die digitalen Veranstaltungen und Kundentermine die Zukunft. Jedenfalls auf absehbare Zeit und deutlich von der Ungewissheit und Unsicherheit geprägt, die von der Coronapandemie ausgingen. Diesen Trend konnte neben der Alea Iacta AG auch die Galledia Event AG verzeichnen – und anschliessend beobachten, wie sich alles wieder zurückentwickelte. Konkret: «Derzeit sieht die Situation auch bei uns wieder anders aus», sagt Reinhard Frei, Geschäftsführer der Galledia Event AG aus Berneck. «Unser Fokus liegt nach wie vor auf Veranstaltungen vor Ort. Nur während Covid waren wir leider gezwungen, einen Teil unserer Konferenzen virtuell anzubieten. Das betraf vor allem die grössten Events.» Bereits kurz nach der Entwarnung durch das BAG (Bundesamt für Gesundheit) konnte man die Veranstaltungen wie gewohnt physisch durchführen.

Bedeutet dieser Rückwärtstrend daher auch, dass hybride Veranstaltungen zunehmen? «Nein, denn nicht alle Events funktionieren hybrid. Unsere Wirtschaftsforen beispielsweise müssen zwingend vor Ort sein.» Des Weiteren würden sich auch nicht alle Veranstaltungen dafür eignen: Zielgruppe und Ansprüche müssten passen.

Die Erfahrung zeigt: «Grundsätzlich gilt für die hybriden Formate: Sie müssen professionell sein und dürfen der Qualität der physischen Events in nichts nachstehen; die Bedürfnisse der Zielgruppe müssen abgeholt werden, damit man bereit ist, für eine virtuelle Teilnahme auch den entsprechenden Preis zu zahlen», so Frei. Denn natürlich ist auch hier alles mit Kosten verbunden, damit sich der Event nicht zu einem finanziellen Verlust entwickelt.

Reinhard Frei
Reinhard Frei

Niedriger Preis auf Kosten der Kundenbindung

Finanzielle Verluste – das trifft es gut. Wie Hans-Willy Brockes, Geschäftsführer der ESB Marketing Netzwerk AG aus St.Gallen weiss, ist das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen essenziell. «Es war relativ klar, dass sich bestimmte Standardveranstaltungen wohl komplett via Bildschirm abspielen – unter anderem Schulungen oder VR-Sitzungen.» Es sei natürlich auch im Interesse der Digitalindustrie gewesen, für deren Angebote zu werben. «Aber wir Menschen sind soziale Wesen. Hinter einem Bildschirm funktionieren wir anders als bei einer Begegnung im echten Leben.» Dies gelte insbesondere für kreative Prozesse, die bei einer digitalen Veranstaltung einfach nicht die gleichen seien wie vor Ort.

Bedeutet das, dass die Effizienz abnimmt? Speziell die Kosteneffizienz? Gerade für kleine Unternehmen mit einem geringeren Budget ist die Bewältigung des finanziellen Aufwands eine anspruchsvolle Aufgabe, die gründliche Vorbereitung und Planung erfordert. «Gegenfrage: Was kostet es, wenn bei einer Firmenveranstaltung die so wichtigen emotionalen Aspekte zu kurz kommen? Aktivierung, Kundenbindung und andere emotionale Aspekte finden online doch gar nicht statt. Am Anfang der digitalen Veranstaltungen gab es noch die Wow-Effekte. Mittlerweile sind jedoch alle im Parallelmodus», so Brockes. Mit Parallelmodus ist gemeint, dass man nebenbei auch noch an anderen Dingen arbeitet und nur mit einem Ohr zuhört. Das führt indirekt zu einer Passivität, die man mit Desinteresse an der Materie gleichsetzen könnte.

Und wie sieht es bei grossen Unternehmen aus? Sind diese anders veranlagt, wenn die finanziellen Mittel grösser sind und das Budget nicht nach der Miete eines Seminarraumes bereits ausgeschöpft ist? «Grossunternehmen haben ihren früheren Veranstaltungstourismus reduziert, aber eine Differenzierung ist notwendig: Branchen mit physischen Produkten sind stärker live als insbesondere die Digitalindustrie. Die grossen Produktshows wie die Consumer Electronics Show und andere finden längst wieder real statt und locken IT-ler und Innovatoren an.»

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«Heute geht man nun noch an Veranstaltungen, von denen man sich mehr verspricht als ein paar Häppchen an Inhalt und ein wenig Apérogebäck.»

Roger Tinner

Digital ist eine Möglichkeit, aber selten eine Option

Diese Antworten zeichnen ein deutliches Bild – die Ostschweizer Wirtschaft will zurück vor Ort. Vor allem sind es die grossen Unternehmen, die diesen Schritt in die Normalität wagen. Dennoch gibt es aber Unterschiede. Digital und Hybrid werden vermehrt als Möglichkeit betrachtet, weniger aber als tatsächliche Option. Roger Tinner ist überzeugt: «Klar ist, dass man heute nur noch an Veranstaltungen geht, von denen man sich mehr verspricht als ein paar Häppchen an Inhalt und ein wenig Apérogebäck.» Gleichzeitig seien aber auch die Ansprüche an digitale Veranstaltungen höher als bisher. «Online-Veranstaltungen in englischer Sprache haben natürlich ein riesiges Einnahmepotenzial. Jedoch nur, wenn auch das Marketing entsprechend international läuft – allerdings ist auch das immer mit Kosten verbunden.»

Und Hans-Willy Brockes ergänzt: «Wenn es um reine Wissens- und Informationsvermittlung geht, funktioniert digital. Aber alle Veranstaltungen, die auch vor Corona live stattfanden, sind wieder da und werden offensichtlich bezahlt.» Auch wenn grosse Unternehmen derzeit noch mit reduzierter Präsenz laufen würden, falle es dennoch schwer, eindeutig zwischen digital und real zu unterscheiden. «Vielmehr kommt es auf die Branchen an. Diejenigen mit einer physischen Produktpalette sind vor Ort stärker vertreten als unter anderem die Digitalindustrie.»

Auch bei der Galledia Event AG zeichnet man ein klares Bild: «Unsere physischen Veranstaltungen sind klar stärker frequentiert als digitale Events», so Reinhard Frei. Spannend ist ausserdem, dass Freis Angaben zufolge kein Unterschied zwischen KMU und grösseren Unternehmen erkennbar ist. Hierbei spielt wahrscheinlich auch die Aussage von Brockes eine Rolle, wonach die Grösse des Unternehmens allein kein Indikator für eine bestimmte Tendenz zu vor Ort resp. Digital ist – vielmehr kommt es auf die Branche an.

  
Hans-Willy Brockes
Hans-Willy Brockes

Hybrid als unliebsame Drittoption

Neben live und digital gab es zeitweise auch ein hybrides Angebot. Teilnehmer konnten also sowohl online als auch vor Ort beiwohnen. Dennoch bewährte sich dieses Produkt bis heute nicht. Man mag sogar von «Dead-On-Arrival» (engl. für Rohrkrepierer) sprechen. Damit hat dieses Format ein wenig den Status des unliebsamen Übels inne. «Bei Events, bei denen das Networking im Vordergrund steht, ist klar zu erkennen, dass sie meist physisch veranstaltet werden sollen. Präsenz- und Networkingveranstaltungen sind nicht mit einer digitalen Veranstaltung vergleichbar», findet Frei.

In diesem Punkt sind sich auch Tinner und Brockes einig: «Hybrid habe ich schon zu Beginn der Wiedereröffnungen nach Corona als die schwierigste Variante angesehen. Und daran hat sich jetzt nichts geändert», so Brockes. Es gebe bei Hybrid-Teilnehmern unweigerlich eine Zweiklassen-Gesellschaft «und kaum ein Format kann beide Klassen gleich gut einbinden. Aus meiner Sicht bleibt das ein Kompromiss, für den es gute Gründe und noch bessere Werkzeuge geben muss», sieht es auch Tinner so.

Brockes gibt noch einen weiteren Punkt zu bedenken: «Hybrid hat sich nicht durchgesetzt, weil live-gerecht und Video-gerecht sich ausschliessen. Das kennen wir ja noch aus dem TV. Dort sind die grossen Shows auch für das Publikum vor den TV-Kanälen gemacht und das Live-Publikum ein Teil der Inszenierung.»

«Unser Fokus liegt nach wie vor auf Veranstaltungen vor Ort. Nur während Covid waren wir gezwungen diese anzubieten.»

Reinhard Frei

Wie geht es nun weiter?

Was die Zukunft bringen wird, steht noch in den Sternen. Sollte sich wieder einmal eine Pandemie anbahnen, werden die digitalen Formate sicher abermals zunehmen und an Bedeutung gewinnen. Auch ist davon auszugehen, dass vor allem die Anbieter von digitalen Veranstaltungen den Schub der letzten Jahre nutzen und ihr Angebot erweitern werden. Ein Industriestandard werden die digitalen Veranstaltungen aber allem Anschein nach nicht werden.

Derzeit deutet daher alles darauf hin, dass sich die Ostschweizer Wirtschaft gerne wieder persönlich trifft. Sei es für das Networking, den zwischenmenschlichen Austausch oder auch einfach nur die Kundenbindung.

Dies bestätigt auch die abschliessende Aussage von Roger Tinner: «Ich bin skeptisch, dass sich Onlineveranstaltungen auf breiter Front durchsetzen und zum wirklichen Geschäftsmodell entwickeln werden. Von Ausnahmen abgesehen.»

Text: Fabian A. Meyer

Bild: zVg, Pixabay

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