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Zwischen Nachfrageboom und Krisenangst

Zwischen Nachfrageboom und Krisenangst
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Nachdem Seminare, Tagungen, Kongresse und Messen 2022 wieder live und vor Ort abgehalten werden konnten, ist auch der Veranstaltungskalender 2023 prall gefüllt. Wie geht es der Ostschweizer Eventlandschaft? Wie haben sich die Besucherzahlen entwickelt? Und wie geht es weiter? Die Veranstalter blicken positiv in die Zukunft. Vorerst.

Besucherrekorde, volle Reihen und zufriedene Veranstalter: Nach einer Durststrecke von knapp zwei Jahren herrschte in der MICE-Branche in den vergangenen Monaten ein regelrechter Nachfrageboom. Zeitweise kam es sogar zu vielen Events gleichzeitig, weil sich verschobene Veranstaltungen angestaut hatten.

«Im Bereich Corporate Events, Tagungen und Kongresse spüren wir eine Aufbruchsstimmung. 2022 hatten wir einen Anfragerekord mit fast dreimal so vielen Anfragen wie 2019. Man will sich wieder treffen, Wissen austauschen und live vor Ort Emotionen erleben. Bei den Kulturveranstaltungen benötigt der Markt noch Zeit, um sich zu normalisieren. Corona hat dort viel durcheinandergewirbelt, was 2022 zu einem Überangebot an Tickets und Angeboten geführt hat», sagt Ralph Engel, Bereichsleiter CongressEvents bei den Olma Messen St.Gallen.

Gregor Wegmüller, Geschäftsführer der Messen Weinfelden, freute sich über die «am stärksten frequentiere WEGA – und auch die bevorstehende Schlaraffia verspricht grosse Besucherströme».

«Es gibt deutlich mehr Anfragen, u.a. auch aus anderen Regionen. Teilweise werden auch Personen aus anderen Ländern digital hinzugeschaltet. Grosse Events sind bereits gebucht und fixiert worden. Meetings und Events wurden ebenfalls bereits vermehrt reserviert. Anfragen für Weihnachtsessen erwarten wir wieder ab April/Mai. 2023 könnte ein ausgezeichnetes Jahr werden; das ist jedoch immer vom aktuellen Weltgeschehen abhängig», sagt Michael Vogt, General Manager im Einstein St.Gallen.

Spontanität hat zugenommen

Auch Nicole King von der Seminar- und Konferenzlocation Lilienberg in Ermatingen empfindet die Stimmung in der Branche als positiv. «Auffällig sind aber die recht kurzfristigen Anfragen und Buchungen. Die Weitsicht auf mehrere Monate im Voraus hält sich in Grenzen», sagt sie.

Diese Beobachtung teilt auch Eva Maron, Geschäftsleiterin des Kultur- und Kongresshauses Verrucano in Mels. Vor allem die Kulturveranstalter würden ein höheres Risiko tragen, da sich der Vorverkauf immer kurzfristiger gestalte.

«Im Kulturbereich scheinen leere Plätze und kurzfristige Buchungen viel üblicher als früher, wo man sich Wochen im Voraus angemeldet hat. Die Unsicherheit aufseiten der Veranstalter ist also höher bzw. hält länger an als früher», ergänzt Roger Tinner, Mitinhaber der St. Galler Kommunikations-  und Eventagentur Alea Iacta AG.

«Nach zwei schwierigen Jahren waren wir sehr zurückhaltend mit unseren Erwartungen, ob die Ostschweizer wieder für Events bereit sind. Die durchgängig hohen Besucherzahlen haben uns jedoch schnell vom Gegenteil überzeugt. Einige unserer Veranstaltungen haben im letzten Jahr sogar den Besucherrekord gebrochen», sagt Karin Krawczyk, stv. Geschäftsführerin der Galledia Event AG aus Berneck, die u.a. das Rheintaler Wirtschaftsforum oder den Ostschweizer Personaltag organisiert.

  

Corona hallt nach

Hans-Willy Brockes, Gründer und Geschäftsführer des St. Galler ESB Marketing Netzwerkes, beobachtet unterschiedliche Gefühlslagen bei seinen Kunden: «Bei den Firmenkunden, die Corporate Events veranstalten, gilt die Regel ‹Standard digital –  Premium live›. Also 0815-Veranstaltungen haben sich online etabliert. Das fängt bei Sitzungen an, geht über Schulungen und endet bei Generalversammlungen. Wenn aber emotional etwas passieren soll, dann geht kein Weg an der Live-Kommunikation vorbei. Ähnlich ist es bei den Endkunden: Diese strömen wieder zu den Festivals und sonstigen Premiumanlässen, aber Events geringerer Güteklasse haben es schwer.»

Die Pandemie hat dennoch Spuren hinterlassen – und auch andere Krisen gehen an der MICE-Branche nicht unbemerkt vorbei. Die Unsicherheit auf einigen Märkten führt bei gewissen Veranstaltern zu Sparmassnahmen. «Steigende Kosten z. B. für Lebensmittel, Personal oder Energie fallen ins Gewicht. Online hat durch Corona einen Schub erhalten. Die Positionierung und die Bedeutung von Live-Kommunikation muss wieder gefestigt werden. Dazu gehört auch die Diskussion, woran der Erfolg eines Events gemessen wird. Wir sind überzeugt: Der Erfolg hängt nicht in erster Linie von der Besucherzahl oder den Umsätzen der Aussteller ab; sondern von der Qualität der Kontakte. Live-Kommunikation ermöglicht höchste Kontaktqualität und ist das stärkste Marketinginstrument in der Beziehungspflege», ist etwa Ralph Engel überzeugt.

Patrick Stahl von der Vaduzer Eventagentur Skunk AG spürt, dass Corona das strategische Marketing in den Unternehmen durcheinandergewirbelt hat: «Auf der einen Seite haben einige Marketingabteilungen ihr Budget auf andere Aktivitäten verlagert, auf der anderen sind viele Unternehmen daran interessiert, sich an Veranstaltungen zu positionieren, um Innovationen und Referenzprojekte vor einem hochkarätigen Publikum zu zeigen. Dies führt dazu, dass wir gemeinsam mit Partnern neu das Finance Forum Zürich lancieren können, das am 19. September im dortigen Kongresshaus Premiere feiern wird.»

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Mehr Ansprüche

«Die Kunden sind wählerischer geworden, weil sie in der Pandemie gemerkt haben, dass es auch Alternativen zu wöchentlichen Konzert- oder Eventbesuchen gibt und dass man gut auch mal ein, zwei Monate ohne Live-Erlebnis über- leben kann. Die Entscheide, wo man dabei ist und wo nicht, fallen bewusster als früher», ergänzt Roger Tinner.

Damit werde auch die Programmierung anspruchsvoller. Diese Ansprüche gelte es laut Karin Krawczyk zu erfüllen. Während der Pandemiejahre haben sich zudem viele Mitarbeiter umorientiert, weshalb die Branche mit Personalknappheit kämpft – besonders in der Veranstaltungstechnik und in der Gastronomie.

«Nach der einen Krise folgt die nächste: Als Messe-Veranstalter spüren wir, dass die Firmen nach Corona nun mit Personalknappheit kämpfen. Gleichzeitig haben die meisten volle Auftragsbücher, da mussten leider einige Prioritäten auf den Betrieb anstatt auf Marketing setzen», so Gregor Wegmüller.

Nicole King ergänzt, dass die allgemeine Kostenerhöhung und Teuerung auch für die Seminarkunden ein Thema sei. Zudem fragen sich viele Veranstalter, wie sie attraktive Eventformate für die junge Zielgruppe realisieren sollen.

Ein Markt unter Druck

Auch gebe es markante Unterschiede zwischen Seminaren oder Tagungen und Messen oder grossen Kongresse. «Im Kleinen liegt mehr Persönlichkeit, das kommt gut an und ist ein klares Bedürfnis unsere Zeit», sagt Eva Maron.

Die Olma Messen hingegen stellen eine Regionalisierung fest: «Grosse Messen brechen auf und in den Regionen entstehen kleinere Formate. Wir versuchen, diese Potenziale bei Fach- und Special-Interest-Messen für den Messeplatz St.Gallen zu nutzen», so Ralph Engel.

Die Frage, ob grosse Messen überhaupt noch zeitgemäss sind, stelle laut Roger Tinner viele unter Druck. Er glaubt, dass bei den Messen, jene überleben werden, die neben dem Produktangebot auch als Plattform zur echten Begegnung taugen – dieser Bereich sei der einzige, den das Internet deutlich weniger abdecke. Bei den Kongressen stelle sich die Frage hauptsächlich international: «Warum soll ich noch um die halbe Welt fliegen, wenn die Inhalte der Tagung auch bei mir zu Hause konsumierbar sind?»

  

Messen bleiben gefragt

Bei den grossen Publikumsmessen erachtet man den Markt als gesättigt. «Wir haben mit der Olma und der Offa zwei starke Produkte im Markt. Diese entwickeln wir entlang der Interessen des Publikums und der Ausstellenden weiter, damit sie auch in Zukunft so erfolgreich und relevant bleiben», so Ralph Engel

Die Olma sei laut Jan Riss das beste Beispiel dafür, dass Publikumsmessen begeistern und einen wichtigen Treffpunkt sowie Ort für Präsentation neuster Technologien und innovativer Produkte bilden. «Klar ist aber auch, dass sich das Kongress- und Messewesen wandelt. Die Besucher wollen unterhalten werden, das Erlebnis steht zunehmend im Vordergrund», bilanziert der IHK-St.Gallen-Appenzell-Chefökonom.

Auch im Thurgau gehörten Messen zu beliebten Freizeitaktivitäten der Bevölkerung und seien wichtige Informations-Plattformen, sagt Gregor Wegmüller. Dass es keinen Besucherrückgang gibt, spreche dafür, dass Messen nach wie vor gefragt und zeitgemäss seien.

War Hybrid nur ein Hype?

Die Digitalisierung wurde in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Thema für die Branche. Es wurde prognostiziert, dass künftig mehr Events hybrid stattfinden würden. Hat sich das bewahrheitet? Die Realität zeigt: Viele haben die Nase voll von Online-Veranstaltungen.

«Ich halte hybride Events für überbewertet und vor allem auch für schwer umsetzbar: Es gelingt kaum, die Ansprüche und Wünsche des Publikums vor Ort mit jenem, das zu Hause am Bildschirm dabei ist, zu vereinen. Eine der beiden Seiten ist oft genervt, weil das Erlebnis nicht das gleiche ist», sagt Roger Tinner.

Auch Hans-Willy Brockes findet deutliche Worte: «Für mich ist der Hybrid-Hype eigentlich schon wieder vorbei. Sowohl bei Veranstaltern wie beim Publikum hat sich das nicht wirklich etabliert. Veranstalterseitig entstehen deutlich höhere Kosten – und die Bereitschaft, für den digitalen Zugang zu bezahlen, ist deutlich geringer als für das Live-Ticket. Seitens des Publikums sind inzwischen Events vor dem Bildschirm austauschbar, teilweise wie Radiohören eine Begleiterscheinung. Und auch das nachträgliche Re-Live-Streaming ist mehr Theorie, als es in der Praxis vom Publikum genutzt wird.»

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Digitalisierung vorangetrieben

Der Teamgedanke und das Networking funktionieren laut Nicole King einfach nicht virtuell. Immer mehr Kunden möchten ihre Teilnehmer enger zusammenbringen und das Miteinander durch Rahmenprogramme mit Teambuilding-Massnahmen ergänzen.

Dennoch haben hybride und digitale Formate stark zugenommen, wie Jan Riss weiss: «Viele Unternehmen haben ihr Geschäftsmodell mit diversen Online-Technologien und -Formaten ergänzt. Wie eine Event-Trend-Umfrage der Schweizer Veranstalterverbände zeigt, verzeichnete rund die Hälfte ihrer Mitglieder zuletzt bei den hybriden Formaten das stärkste Wachstum. Für die folgenden Jahre prognostizieren die befragten Unternehmen aber wieder eine grosse Zunahme bei den Live-Formaten. Das erstaunt sowohl aus Teilnehmer- als auch aus Veranstalterperspektive nicht.» So machten selbst während der Pandemiejahre 2020 und 2021 Offline-Events mehr als die Hälfte des Umsatzes bei den befragten Unternehmen aus. «Was aber sicherlich bleibt: Veranstaltungen und Messen sind dank diverser digitaler Tools und gestiegener Akzeptanz dafür heute interaktiver», so der IHK-Chefökonom.

Die Möglichkeiten, Veranstaltungen hybrid durchzuführen, sei aktuell für die FC St.Gallen Event AG ein wichtiger Faktor, um den Kundenbedürfnissen gerecht zu werden. «Die MICE-Technik hat dadurch an Wichtigkeit gewonnen», sagt Pascal Wicki, Bereichsleiter Event, Stadionbetrieb und Sicherheit.

Nachhaltigkeit beschäftigt

Karin Krawczyk ist davon überzeugt, dass physische Veranstaltungen Emotionen besser transportieren können und dass Networking im realen Leben nicht wegzudenken sei. Dies setze aber Mobilität voraus. «Darum ist es ist uns ein grosses Anliegen, unseren Beitrag für die Umwelt zu leisten. All unsere Anlässe werden daher ab diesem Jahr klimaneutral sein», sagt sie.

Generell beschäftige das Thema Nachhaltigkeit die Branche stark. «Das ist ein Megatrend. Wir müssen alles auf Nachhaltigkeit prüfen, verbessern und es mit Kunden und Veranstaltern zum Thema machen», so Eva Maron.

Das Thema werde darum am Kongress «360° Entertainment», den ESB gemeinsam mit Ticket Corner veranstaltet, eine zentrale Rolle spielen, so Hans-Willy Brockes.

«Veranstalter und Teilnehmer achten vermehrt darauf, dass die Organisation und Durchführung nachhaltig sind. Ein potenzieller Hebel ist tatsächlich das Format: So ist eine Online-Durchführung deutlich ökologischer, wenn damit weite Anreisewege erspart bleiben», unterstreicht Jan Riss. Für die IHK-Veranstaltungen mit einem stark regionalen Fokus würden Anreisewege indes eine untergeordnete Rolle spielen. «Für uns stellt sich in Bezug auf das Veranstaltungsformat vielmehr die Frage nach dem Mehrwert für die Teilnehmer. Bei den meisten Veranstaltungen stehen Inspiration und der persönliche Austausch im Zentrum. Diese Ansprüche lassen sich online kaum transportieren. Geht es aber um fachliche Kurzseminare, wie wir sie beispielsweise in Exportfragen durchführen, dann stossen digitale Formate auf grösseres Interesse.»

«Wir setzen bereits seit Jahren auf nachhaltige MICE-Veranstaltungen. Ob es die Erdwärmeanlage, energieeffiziente Geräte oder standardisierte Abfallentsorgung ist», bestätigt auch Michael Vogt.

 

Gute Veranstaltungen inspirieren

Egal, ob kleine oder grosse, physische oder virtuelle Veranstaltung: Am Schluss zählen eine gelungene Durchführung und zufriedene Teilnehmer.

«Dazu müssen Ziele klar definiert und in einem schlüssigen Konzept abgebildet sein. Konkret: die Marke durch eine gelungene Inszenierung emotional aufladen, Kontakte pflegen, Netzwerke erweitern, interessanter Wissensaustausch durch neuartige Formate, Produkte haptisch und olfaktorisch erlebbar machen und vieles mehr. Das führt zu Kunden, die zufrieden und inspiriert nach Hause gehen», gibt Ralph Engel ein Erfolgsrezept.

«Eine Veranstaltung ist dann erfolgreich, wenn unser Kunde und seine Gäste den Kybunpark zufrieden verlassen und im Idealfall die nächste Veranstaltung wieder bei uns durchführen. Damit dies gelingt, ist die kompetente Beratung des Kunden über die Customer Journey durch kompetente Mitarbeiter ausschlaggebend», sagt Pascal Wicki.

Eine gelungene Veranstaltung soll Begeisterung bei den Teilnehmern aus- und das Nutzenversprechen einlösen, ergänzt Karin Krawczyk. Für 2023 sind sich fast alle Befragten sicher, dass sich die Besucherzahlen wieder im Normalbereich einpendeln werden – Ausreisser seien aber möglich.

Text: Miryam Koc

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