Politische Kampagnen müssen mobilisieren

Politische Kampagnen müssen mobilisieren
Iwan Köppel
Lesezeit: 7 Minuten

Wenn Behörden kommunizieren, soll die sachliche Information im Vordergrund stehen. Interessengruppen hingegen wollen mit Emotionen etwas bewegen. Iwan Köppel beherrscht mit seiner Agentur beide Spielvarianten der politischen Kommunikation.

Danach gefragt, ob es einen Unterschied zwischen politischer Kommunikation und Unternehmenskommunikation gebe, runzelt Iwan Köppel die Stirn. «Unterscheiden muss man, wenn schon, um welche Art politische Kommunikation es sich handelt.» Die Behördenkommunikation sei durchaus vergleichbar mit Unternehmenskommunikation, denn «Behörden müssen ohne Emotionen die Bevölkerung informieren, der Wahrhaftigkeitsanspruch ist höher», sagt der Inhaber der St.Galler Agentur Alea Iacta PR & Consulting. Anders verhalte es sich mit der Kommunikation für Inter- essengruppen, Verbände oder Parteien, «die entspricht eher der Marketing-Kommunikation, weil es darum geht, Emotionen auszulösen, zu überzeugen und Anspruchsgruppen zu mobilisieren». Hier werde versucht, Begeisterung zu wecken oder Empörung zu schaffen, was naturgemäss Parteien oder Organisationen an den politischen Polen leichter falle – Gewerkschaften etwa, oder der SVP. Eines aber ist bei beiden Varianten gleich, wie Köppel unterstreicht: Die Kommunikation soll einfach und verständlich sein, die Komplexität wird möglichst reduziert. Ein völlig neues Thema in den politischen Diskurs einzubringen sei möglich, wesentlich einfacher sei es aber, wenn ein Thema schon da ist, wie Iwan Köppel betont: «So schnelllebig, wie wir heute unterwegs sind, ist es fast schon zwingend, irgendwo auf einem bekannten Thema aufzusetzen, um einen Nerv zu treffen und das Medieninteresse zu finden.»

Konsequentes Framing

Im Verlauf einer längeren Kampagne wird auch Framing betrieben: «Alles, was irgendwie im Zusammenhang mit einer Forderung steht oder stehen könnte, wird verknüpft.» Köppel nennt das berüchtigte Messerstecher-Inserat der SVP als Beispiel, die Partei habe konsequent immer wieder Ausländer und Kriminalität in Verbindung gebracht. «Genau gleich verknüpfen die Gewerkschaften systematisch Lohn und Gleichberechtigung – irgendwann stimmt das Narrativ in der Wahrnehmung der Adressaten.» Bevor Iwan Köppel 2009 seine eigene Agentur als Teil der Alea-Iacta-Gruppe gründete, war er unter anderem als Journalist und dann als PR-Berater bei einer Zürcher Agentur unterwegs. Von 2005 bis 2009 betreute er die St.Galler CVP als Geschäftsführer und Fraktionssekretär, seither gilt Köppel in der Branche als kompetenter Polit-Berater.

  

«Die Kommunikation von Behörden darf nicht strapaziert originell sein.»

Sieg mit positiven Emotionen

Noch als CVP-Sekretär betreute Iwan Köppel 2008 die überparteiliche Kampagne gegen den Versuch der SVP, den Beitritt von genügend Kantonen zum HarmoS-Konkordat zu verhindern. Bei der landesweiten Harmonisierung der Volksschulen ging es unter anderem um eine frühere Einschulung (obligatorischer Kindergarten bzw. «Vorschule»). Um Ressourcen zu sparen, hätten die St.Galler HarmoS-Befürworter die Kampagne aus Luzern übernehmen sollen – in Luzern aber obsiegte die SVP. Deshalb hat das St.Galler Komitee für seinen Abstimmungskampf eine neue Kampagne aufgesetzt, «wir haben mehr Emotionen hineingebracht», erinnert er sich. Positive Emotionen vor allem: Die SVP operierte mit einem weinenden Kind als Sujet, weshalb Köppel und die Befürworter auf ein fröhliches, hüpfendes Kind und den Slogan «Juhui, i cha in Chindsgi!» als Key-Visual setzten. Vielleicht war dies ein entscheidendes Detail, jedenfalls sprach sich das St.Galler Stimmvolk mit einem Ja-Anteil von 52,8 Prozent für den HarmoS-Beitritt aus. Insgesamt schaffte es die SVP aber, das Konkordat vorläufig auszubremsen. «Es gibt wenige Fälle, in denen man allein mit einer Kampagne etwas drehen kann, die Stimmung ist meistens schon da», erklärt Iwan Köppel. «Man muss aber seine Seite mobilisieren, wenn es knapp wird, kann genau das den Ausschlag geben.»

Nahe am Küchentisch

Heute setzt Iwan Köppel seinen Schwerpunkt in Mandaten aus der Wirtschaft und in der Behördenkommunikation. Dabei gehe es vor allem um Faktenvermittlung, um die grundlegende Information von Bürgern. Auch da müsse man «möglichst nahe am Küchentisch sein», wie es Köppel umschreibt. Die richtigen Kanäle dafür zu finden und «Bubbles zu durchdringen» werde auch angesichts der rückläufigen Nutzung von Publikumsmedien anspruchsvoller, seine Agentur setzt für die öffentliche Hand deshalb mitunter auch auf Direct Mailings. «Eine direkte Standleitung zum CEO eines Medienhauses» würde er dagegen nicht empfehlen, sagt Köppel mit einem Seitenblick auf das Gebaren des Departements von Bundesrat Alain Berset. Die Kommunikation von Behörden müsse seriös und glaubwürdig sein, unterstreicht Köppel, «sie darf darum nicht strapaziert originell sein.»

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«Ich muss mir im Klaren sein, wie viele Stimmen ich brauche.»

Klare Zielsetzung

Kampagnen führt Iwan Köppel heute nur noch sporadisch. 2015 aber leitete seine Agentur die Nationalrats-Wahlkampagne für den damaligen Olma-Direktor Nicolo Paganini, mit dem Ziel, auf der CVP-Hauptliste hinter den beiden Bisherigen Markus Ritter und Jakob Büchler sowie dem Favoriten auf den dritten Sitz, dem auch als Ständerat antretenden Kantonsrat Thomas Ammann, den ersten Ersatzplatz zu erobern. Das Kalkül ging auf, und als Köbi Büchler 2018 zurücktrat, rückte Paganini nach. 2019 konnte Iwan Köppel die Kampagne für die erfolgreiche Wiederwahl des Bisherigen Nicolo Paganini führen. Die klare Zielsetzung sei ein Schlüssel zu einer erfolgreichen Kampagne, sagt Iwan Köppel. «Ich muss mir im Klaren sein, wie viele Stimmen ich benötige, damit es klappt. Das muss quantifiziert sein.» Daraus abgeleitet werde dann die Frage, wo die grösste Mobilisierung erreicht werden könne, dafür würden dann mögliche Zielgruppen nach geografischen oder soziodemografisch Kriterien segmentiert. Wenn eine Kampagne über genügend Mittel verfügt, könnten auch entsprechende Daten eingekauft werden.

Reizvolle Konstellation

Würde es den Kommunikationsspezialisten nicht reizen, bei der aktuellen St.Galler Ständeratsersatzwahl als Campaigner mitzumischen? Köppel schmunzelt. Den Wettstreit von vier Nationalrätinnen beobachtet er jedenfalls mit grossem Interesse. «Eine Kampagne zu machen, wäre mit jeder der vier Frauen spannend und kommunikativ herausfordernd», meint er. «Alle vier haben schon ihre Positionierung, sind quasi eine Marke.» Als Verantwortlicher für eine Kampagne würde sich Iwan Köppel nur für Personen engagieren, die er selbst auch wählen würde. Andere Leute in der Kommunikationsbranche sagen, sie könnten so etwas auch als Kampagnenleader abstrahieren – die an einer Kampagne beteiligten Mitarbeiter müssten das schliesslich auch können. Die Konstellation in St. Gallen beurteilt Köppel als speziell: Keine der amtierenden Nationalrätinnen sei «unwählbar», keine brauche zuerst ein Auftrittstraining. «Sie sind grundsätzlich sympathisch und umgänglich, alle vier machen sich gut auf Podien, in der persönlichen Begegnung und auf Plakaten», sagt Köppel. «Wenn jemand ein physiognomisch nicht vorteilhaftes Gesicht hat, spielt das durchaus eine Rolle.»  Das Bild, das die Kampagne von einem Kandidaten zeichne, müsse authentisch sein, «es muss zu dem Menschen passen, den man an Auftritten live erlebt.» Glaubwürdigkeit sei wichtig, betont Köppel. Den Unterschied in dieser speziellen Ausgangslage werde zum einen die politische Grundhaltung ausmachen – welche der Frauen kann ihre potenzielle Anhängerschaft am besten mobilisieren? Dafür gelte es, die eigene Positionierung zu stärken und zu den aktuellen grossen Themen wie Krieg in der Ukraine mit Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft, wie Energiekrise oder Klimaerwärmung Lösungen und Aussagen anzubieten, die das eigene Lager überzeugen. Auch mit eloquenten und sympathischen Auftritten an Podien und Veranstaltungen könnten die Kandidatinnen punkten. Weil es eine Ständeratswahl ist, gelte es zum anderen auch überzeugend darzulegen, wie eine Ständerätin in Bern als Interessenvertreterin für den Kanton St. Gallen kämpfen wolle.

  

Kein Patentrezept

PR-Pionier Rudolf Farner wird die Aussage zugeschrieben, dass er für eine Million Franken aus jedem Kartoffelsack einen Bundesrat machen würde. «So absolut würde ich das nicht unterschreiben», hält Iwan Köppel dagegen, «unter der Bundeshaus-Kuppel gelten ohnehin eigene Regeln.» Allerdings würden subtile Kampagnen beim Wahlkörper – den 246 Mitgliedern von National- und Ständerat – durchaus verfangen, das habe gerade die Geschichte mit den Schwarznasenschafen der neu gewählten Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider gezeigt. Bei ihrer Gegenkandidatin Eva Herzog sei so etwas wie eine Kampagne zumindest von aussen nicht wahrnehmbar gewesen – was dagegen die Runde machte, sei der Vorwurf gewesen, sie sage nicht grüezi. Im Kleinen wie im Grossen gelte: «Es gibt nicht das eine Patentrezept für erfolgreiche Wahlkampagnen. Je nach Konstellation sind die Anforderungen anders», wie Iwan Köppel festhält. Mit einer schlechten Kampagne – wenn eine Person als etwas dargestellt wird, was sie nicht sei – könne man aber jemandem die Wahlchancen vermiesen. Deshalb müssten ein Wahlslogan oder die Adjektive, mit der man eine Person anpreist, gut überlegt sein, auch das Setting für ein Fotoshooting und die Auftritte müssen stimmig sein. Zu Bedenken gibt Iwan Köppel, dass oft auch ganz andere Faktoren hinter einer Wahlkampagne den Ausschlag geben können, insbesondere ein gutes Netzwerk. «Wenn eine Person bekannt ist, spielt das eine ebenso wichtige Rolle wie die Art und Weise, wie sich eine Person verkauft», sagt Köppel. Dem früheren Nationalrat Thomas Müller (CVP, später SVP) habe wohl das Netzwerk in St.Galler Sportkreisen genützt. Auch Regierungsrat Bruno Damann habe sich als Sportarzt des FCSG sicher auf Support aus dieser Ecke stützen können.

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Einmal auf alle Kanäle verzichten

Für Kampagnen stünden heute dank der Sozialen Medien sehr viele Kommunikationskanäle offen – die Gefahr, dass man sich verzettle, sei deshalb gross, warnt Iwan Köppel. «Man muss seine Zielgruppe viel genauer definieren und ansprechen. Das aber erhöht die Gefahr der Bubble-Bildung.» Er selbst möchte die Frage nach der Kanalwahl einmal radikal beantworten: «Ich hätte gerne mal mit jemandem eine Kampagne gemacht, bei der wir alle klassischen Mittel weggelassen hätten», sagt Köppel. «Wir hätten nur Türklinken geputzt. Diesen Mut hatte aber nie jemand.» Das Kalkül des schlauen Campaigners ist natürlich, dass eine solche Aktion viral geht. Auch wenn man selbst nichts unternimmt, würden die Medien berichten und die Sozialen Medien die Geschichte aufnehmen. Die nächsten Wahlkämpfe kommen bestimmt, vielleicht hat dann ja jemand den Mut. Vermutlich könnte es dann auch aufschlussreich sein, nach dem Urheber der Nicht-Kampagne zu fragen.

Text: Philipp Landmark

Bild: Thomas Hary

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