Der Musterknabe

Der Musterknabe
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Zahlreich sind die Rankings, mit denen die Wettbewerbsfähigkeit von Standorten erfasst werden soll. Mit viel Statistik und ein bisschen Hokuspokus wird meistens festgestellt, was wir schon ahnen: Die Ostschweiz ist gar nicht so schlecht, aber eben auch nicht so gut. Bis plötzlich eine Schlagzeile den Thurgau als «Unternehmensmagnet» feiert.

«Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe», soll Winston Churchill einst gesagt haben. Gefälscht ist die Statistik nicht, die gerade alle Scheinwerfer auf den Thurgau richtet: Die Zürcher Wirtschaftsauskunftei CRIF AG hat untersucht, wohin im Handelsregister eingetragene Firmen im Jahr 2022 innerhalb der Schweiz umzogen. Der Kanton Thurgau verzeichnete die grösste Netto-Zuwanderung – während der oft als «Wirtschaftsmotor» bezeichnete Kanton Zürich den grössten Verlust an Firmen verzeichnet.

Finanzen im Griff, gepaart mit effizienter Verwaltung

2022 haben über 42‘000 bestehende Firmen ihr Domizil im Inland verlegt, wie CRIF mit den Handelsregister-Daten aufzeigt. Knapp 83 Prozent der Umzüge fanden innerhalb desselben Kantons statt, etwas mehr als 17 Prozent, genau 7224 Firmen, zügelten in einen anderen Kanton.

Der Leiter des Thurgauer Amts für Wirtschaft und Arbeit, Daniel Wessner, glaubt der Statistik durchaus; er bemüht sich im Gespräch mit dem Leader aber, den Ball flach zu halten, weil die blosse Zahl der zu- und weggezogenen Firmen nichts über deren Wertschöpfung aussage. Dennoch: Dass der Thurgau in der Nettobetrachtung mit einem Saldo von plus 95 Firmen erneut glänzt, kommt nicht von ungefähr. Der Thurgau hat seine einst schlechte Standortattraktivität noch vor dem Millennium erkannt und seither viele Massnahmen ergriffen – die manchmal auch ganz einfach Mass zu halten bedeuten können. Der Thurgau gilt als ein Kanton, der die Finanzen im Griff und eine effiziente Verwaltung hat.

 

Faktor Steuern relativiert sich

Die OECD-Steuerreform führt dazu, dass überall in der westlichen Wirtschaftswelt grosse Konzerne ab einem Umsatz von 750 Millionen Euro eine Gewinnsteuer von mindestens 15 Prozent zahlen müssen – damit fällt ein Standortvorteil der Schweiz teilweise weg; hier lag der Steuersatz in etlichen Kantonen, gerade auch in der Ostschweiz, tiefer.

Entscheidender für Unternehmen sind bei der Standortwahl zunehmend zwei andere Faktoren: die Verfügbarkeit von Produktionsräumen oder Land und die Verfügbarkeit von qualifizierten Fachkräften. Ins Gewicht fallen auch die Infrastruktur eine Region, insbesondere die Verkehrsanbindungen, die Nähe zu Ausbildungs- und Forschungsstätten, die Nähe zu wichtigen Kunden und Zulieferern sowie die Nähe zu grösseren Zentren. In Vergleichen im Inland können Kantone auch mit einer schlanken, effizienten Verwaltung punkten. In internationalen Vergleichen sind die politische Stabilität und die Rechtssicherheit der Schweiz ein positives Momentum, in der Studie des Lausanner International Institute for Management Development landet die Schweiz auf Platz drei der wettbewerbsfähigsten Länder, vor zwei Jahren war die Schweiz gar Spitzenreiter.

  

Dass der Thurgau glänzt, kommt nicht von ungefähr.

Aussagekräftiger Trend

Die Statistik über die Firmen-Umzüge ist weniger komplex als andere Rankings und beantwortet einige wesentlichen Fragen nicht, etwa, wie gross die Zahl der Arbeitsplätze ist, die verschoben wurde. Auch können die einzelnen Zu- und Wegzüge gerade bei sehr kleinen Firmen auf einem eher zufälligen Auslöser beruhen. Der Saldo als Trend zeigt aber dennoch auf, ob ein Kanton Firmen eher abschreckt oder ob er ein «Unternehmensmagnet» ist. Auffällig ist freilich, dass neben dem Thurgau mit Wallis und Graubünden zwei Kantone zu den Zügel-Gewinnern zählen, die nicht unbedingt zu den heissesten Wirtschaftslocations des Landes zählen.

Sucht man die vier Kantone der engeren Ostschweiz in anderen Rankings, etwa im komplexen Wettbewerbsindikator, den die UBS anhand unzähliger Kriterien erstellt, dann landen St.Gallen und Thurgau mit ähnlichen Werten im unspektakulären Mittelfeld, die beiden Appenzell werden weiter hinten in der Rangliste einsortiert. Dennoch hat der Thurgau auch in der Ostschweiz einen positiven Firmen-Wanderungssaldo. Aus St.Gallen, das seinerseits auch einen positiven Saldo aufweist, kamen immerhin 80 Firmen in den Thurgau, 51 zogen nach St.Gallen weg (plus 29 für den Thurgau). Gegenüber Appenzell Ausserrhoden bilanziert mit 21 Zuzügen und 14 Wegzügen ein Plus von 7 Firmen für den Thurgau. Bei Appenzell Innerrhoden ist die Bilanz mit je 2 Zu- und Wegzügen ausgeglichen.

«Abstimmung mit den Füssen»

Aus Zürich kamen 86 Firmen in den Thurgau, während 71 dorthin zogen, was einen Saldo von 15 Unternehmen ergibt. Zürich verlor dieses Jahr viele Firmen nach Zug (322), in den Aargau (196) und nach Schwyz (191) und kam insgesamt auf einen Saldo von minus 137 (Neuzuzüger 1219, Wegzüger 1356), im Vorjahr lag der Verlust sogar bei 347 Firmen.

Der Think Tank Avenir Suisse sprach deshalb von einer «Abstimmung mit den Füssen» und machte die nicht gerade wirtschaftsfreundliche rot-grüne Politik Zürichs für die Wegzüge verantwortlich. Auch der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler (SVP) sagte in der NZZ, dass die linken Zürcher Städte Leistungsträger vertreiben würden. Zürich sei so ein «nicht unwesentlicher Standortförderer von Zug».

Text: Philipp Landmark

Bild: Pixabay

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