Fokus Start-ups

Aus Kunden Fans machen

Aus Kunden Fans machen
Simon May, Co-Geschäftsführer IFJ Institut für Jungunternehmen AG.
Lesezeit: 6 Minuten

Trotz der unsicheren Wirtschaftslage wurden auch im ersten Halbjahr 2022 munter neue Firmen gegründet. Wie sieht es in der Ostschweiz über den Zeitraum von fünf Jahren aus – und wie viele Jungunternehmen und Start-ups, die während der Corona-Pandemie starteten, stehen noch gut da? Simon May, Co-Geschäftsführer der IFJ Institut für Jungunternehmen AG aus St.Gallen, Peter Frischknecht, Leiter Startfeld, und Janine Brühwiler, Geschäftsführerin des Startnetzwerks Thurgau, kennen die Antworten.

In der letzten Dekade ist die Anzahl Firmengründungen in der Schweiz von unter 40 000 auf über 50 000 angestiegen. «Die hohe Anzahl an Neugründungen ist ein positives Signal für eine nachhaltig gut funktionierende Schweizer Volkswirtschaft», erklärt Simon May, Co-Geschäftsführer der Institut für Jungunternehmen AG (IFJ). In den letzten zwei Jahren profitierten zudem einige Branchen vom veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben: Noch nie wurde so viel Geld ausgegeben für Sport- und Freizeitartikel, Menschen investierten in ihren persönlichen Lebensraum inklusive IT-Infrastruktur fürs Homeoffice. Produzenten und Händler von Spielwaren sowie Medizin- und Sicherheitstechnik, Hofläden, Streamingdienste, Hörbuchanbieter, Lieferdienste und generell der Onlinehandel erlebten einen enormen Boom, hält May fest. «Trotz wirtschaftlich einschränkenden Massnahmen waren Gründer zuversichtlich, was sich im Wachstum in den meisten Branchen zeigt. Zudem findet nach wie vor eine Art ‹Bereinigung› bei wirtschaftlich schlecht aufgestellten Unternehmen statt, was die Gründung neuer Unternehmen fördert.»

«Absoluter Fokus auf die Stärken des eigenen Schaffens, damit Kunden zu Fans werden.»

Neugründungstrend hält an
Ein Blick auf die Firmenneugründungen der letzten zwei Jahre bestätigt dies: In den Kantonen St.Gallen, Thurgau, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden wurden 2020 total 4276 Firmen neu gegründet, davon sind heute 382 nicht mehr aktiv. Die Überlebensrate beträgt gut 91 Prozent. 2021 waren es total 4630 Neugründungen, 183 sind heute nicht mehr im Geschäft. Die Überlebensrate liegt hier bei gegen 96 Prozent. Dies ergeben die Analysen des IFJ und der Dun & Brad Street Schweiz AG. Nach zwei Jahren Corona ist die grosse Mehrheit der Firmen, die in dieser Zeit gegründet wurden, also noch immer im Geschäft. Und der Trend setzt sich fort: Im ersten Halbjahr 2022 wurden 25 447 neue Firmen ins Schweizer Handelsregister eingetragen, in den vier Ostschweizer Kantonen Thurgau, St.Gallen, Appenzell Innerrhoden und Appenzell Ausserrhoden waren es insgesamt 2330. Am meisten Neugründungen gab es in den Branchen Handwerk, Immobilienwesen sowie der Detailhandel, gefolgt von den Beratungsdienstleistungen und der Gastronomie/Beherbergung.

 

«Die drei Grundpfeiler sind das Netzwerk, die Sichtbarkeit und die Finanzen.»

Mehr Freiheit und Selbstbestimmung
«Der wichtigste Grund, eine eigene Firma zu gründen ist der Wunsch nach mehr Freiheiten und Selbstbestimmung», erklärt Simon May. «Wichtig zu wissen ist, dass zwei Drittel der Jungunternehmer zum Gründungszeitpunkt noch an einem anderen Ort tätig sind. Diese Zunahme an der Teil-Selbstständigkeit stellen wir in unseren regelmässigen Untersuchungen fest.» Der Sicherheitsgedanke lässt sich ideal mit dem Wunsch nach mehr Freiheit kombinieren. Und heute ist dies dank den technologischen Möglichkeiten noch besser möglich. Gerade in den letzten zwei Jahren widerspiegeln die Neugründungen für Simon May auch ein wenig die Aussage «Jede Krise ist eine Chance». «In wirtschaftlich schwierigen Zeiten entstehen stets viele neue Unternehmen», so May. Es sei eine Kombination aus Neuorientierung, die zum Teil notwendig sei, und die Verwirklichung eigener Ideen.

Gute Beratung ist gefragt
Dies zeige sich auch in den Beratungen des Instituts für Jungunternehmen: «Unser dreissigköpfiges Team hat in den letzten zwei Jahren so viel gearbeitet wie noch nie», sagt May. Neben den Beratungen investierte das IFJ viel in die Weiterentwicklung der digitalen Services für Unternehmer. «Zum Beispiel wickelten wir 2021 über 4000 Firmengründungen und Handelsregistermutationen mit unseren Online-Diensten ab.» Auch beim Startnetzwerk Thurgau nahm die Beratungstätigkeit in den Jahren 2020/2021 zu. «Wir hatten einen Anstieg nicht nur bei den individuellen Beratungen, sondern auch bei den Kursteilnehmern. Gerade bei den Webinaren verzeichneten wir einen enormen Zuwachs», erklärt Geschäftsführerin Janine Brühwiler. «Es entstanden viele Ideen aus der Corona-Krise heraus – respektive, um die Krise zu bewältigen.» Beim Innovationsnetzwerk Startfeld aus St.Gallen hingegen, das sich auf technologie-orientierte und skalierbare Start-ups fokussiert, gab es tendenziell einen leichten Rückgang bei den begleiteten Neugründungen. «Bei diesen Start-ups dauert die Entwicklungsphase meistens länger», erklärt Startfeld-Leiter Peter Frischknecht. Will heissen: Firmen, die im Jahr 2020 gegründet wurden, kämen in der Regel erst 2023 bis 2024 wirklich am Markt an.

«Aus den Jahren 2018 haben wir jedoch einigen interessante Start-ups – z. B. CollectID, Nahtlos oder Matriq», betont Frischknecht. Rund zwei Drittel der von Startfeld begleiteten Start-ups kommen aus dem Digitalisierungsbereich – Digitalisierung und Gesundheit, Digitalisierung und Arbeitstechnik, Digitalisierung und Vertrieb etc.

Auch interessant

Die Tofu-Revolution aus dem Thurgau
Fokus Start-ups

Die Tofu-Revolution aus dem Thurgau

Regierung unterstützt Gründerszene mit zehn Millionen
St.Gallen

Regierung unterstützt Gründerszene mit zehn Millionen

Fondation ALCEA fördert Venture Kick zur Unterstützung für Start-ups
St.Gallen

Fondation ALCEA fördert Venture Kick zur Unterstützung für Start-ups

Janine Brühwiler, Geschäftsführerin Startnetzwerk Thurgau
Janine Brühwiler, Geschäftsführerin Startnetzwerk Thurgau

«Es braucht ein gutes Team, ein funktionierendes Produkt, ein nachhaltig profitables Geschäftsmodell – und genügend liquide Mittel.»

Männer überwiegen bei den Neugründungen
«Statistisch werden fast 37% aller neuen Unternehmen durch Frauen gegründet», erklärt Simon May vom IFJ. Zusätzlich gebe es einige Neugründungen, die von Teams gegründet werden, womit die effektive Anzahl an involvierten Frauen um die 46% sei. Die Gründerinnen sind im Schnitt 37 Jahre alt, die Gründer 39. Dies bestätigt Janine Brühwiler vom Startnetzwerk Thurgau: «Im Grundsatz sind es eher Männer, die neue Firmen gründen. Frauen gibt es leider nach wie vor weniger.» Es seien keineswegs nur «Junge», die den Schritt mit der eigenen Firma wagen. «Was wir jedoch feststellen, ist, dass die Jüngeren eher Start-ups gründen, also innovative, skalierbare Unternehmen, und die Älteren eher auf solide, bestehende Geschäftsmodelle setzen.» Auch bei den von Startfeld begleiteten Start-ups sind Männer bei Neugründungen deutlich in der Überzahl und meistens zwischen 25 und 40 Jahre alt. Bezüglich Alter erklärt Peter Frischknecht: «Viele Studenten realisieren ein Start-up, sie haben wenig zu verlieren und viel Mut. Andere wagen den Schritt mit ihrem Start-up erst, wenn sie einige Jahre in der Berufswelt Erfahrungen gesammelt haben.»

Nicht alle schaffen es
«Gemessen an allen Neueinträgen ins Handelsregister existieren nach einem Jahr noch 96 Prozent, langfristig etablieren sich etwa 30 Prozent bis 50 Prozent der Firmen», erklärt Simon May. Viele Firmen schliessen sich im Laufe der Zeit zusammen, wandeln ihre Rechtsform oder ändern ihren Firmennamen. «Die jährliche Anzahl an Neugründungen macht in etwa sieben bis acht Prozent aller aktiver Firmen in der Schweiz aus», betont May.
Durch diese Gründungen werden jährlich rund 55 000 neue Stellen geschaffen, was mehr als einem Prozent aller Beschäftigten entspricht. «Folglich ist es systemrelevant für die Schweiz, dass jedes Jahr viele neue Unternehmen entstehen», erklärt May. Dies sieht Peter Frischknecht von Startfeld ähnlich: «Grundsätzlich sind mehr als 80 Prozent der von Startfeld geförderten Start-ups nach zehn Jahren noch am Markt.» Nicht alle Jungunternehmen starten durch – aus unterschiedlichen Gründen. Für Simon May benötigt der Aufbau einer eigenen Firma Durchhaltewille und Leidenschaft. Zudem würden die Faktoren Zeit und Geld sehr oft unterschätzt. Andere Jungunternehmer wiederum scheiterten an administrativen oder rechtlichen Hürden, die im Vorfeld zu wenig abgeklärt wurden. Janine Brühwiler vom Startnetzwerk Thurgau fallen zwei Dinge immer wieder auf: «Es wird oft unterschätzt, wie lange es tatsächlich geht, bis der Break-even erreicht wird. Oder man möchte an den Kunden vorbei etwas auf den Markt bringen – ein ‹Nice-to-have›-Produkt statt ein ‹Must-have›-Produkt.»

  
Peter Frischknecht, Leiter Startfeld
Peter Frischknecht, Leiter Startfeld

Wichtige Erfolgsfaktoren
Simon May bringt die Erfolgsformel für Jungunternehmen auf den Punkt: «Zehn Prozent Inspiration – 90 Prozent Transpiration. Denn es gibt nichts Gute, ausser man tut es.» Daneben sind für ihn Offenheit und ein Flair für Kommunikation – sprich Begeisterungsfähigkeit – wichtig. «Wenn dann noch eine ausgeprägte Kundenorientierung und Ausrichtung auf spezifische Kundenbedürfnisse dazu kommt, kann fast nichts schief gehen», ist May überzeugt.
Das sieht Peter Frischknecht von Startfeld ähnlich. «Es braucht ein gutes Team, ein funktionierendes Produkt, das einen attraktiven und genügend grossen Markt anspricht. Dann ein nachhaltig profitables Geschäftsmodell und – ganz wichtig – genügend liquide Mittel, um den Aufbau des Start-ups stemmen zu können.» Janine Brühwiler von Startnetzwerk Thurgau ergänzt: «Die drei Grundpfeiler sind aus meiner Sicht das Netzwerk, die Sichtbarkeit und die Finanzen.» Simon May rät angehenden Jungunternehmern abschliessend: «Absoluter Fokus auf die Stärken des eigenen Schaffens, damit Kunden zu Fans werden.»

Auch interessant

Vielversprechende Start-ups aus der Schweiz
Ostschweiz

Vielversprechende Start-ups aus der Schweiz

St.Gallen soll als «Start-up-Kanton» etabliert werden
St.Gallen

St.Gallen soll als «Start-up-Kanton» etabliert werden

Odilia Hiller wird Co-Chefredaktorin der «Ostschweiz»
St.Gallen

Odilia Hiller wird Co-Chefredaktorin der «Ostschweiz»

Schwerpunkte