Will Staatsanwaltschaft vertuschen?
Über 35 Jahre ist es her, seit die damals 15-jährige Karin Gattiker (links im Bild) und ihre zwei Jahre ältere Freundin Brigitte Meier (rechts) eine dreitägige Velotour durch die Ostschweiz unternommen hatten. Sie sollten nie wieder zurückkehren: Neun Wochen später wurden ihre Leichen in der Nähe der Kristallhöhle im Oberrieter Kobelwald gefunden. Der Mörder – die Polizei ging bereits früh von einem gewaltsamen Tod der Mädchen aus – wurde nie ausfindig gemacht. Das wird er wohl leider auch nicht mehr, und selbst wenn, kann er nicht mehr für seine Tat verantwortlich gemacht werden: Die Tat ist verjährt. Nun hat die St.Galler Justiz die letzten Beweismittel im Kristallhöhlenmord vernichtet.
«Ich kann das Vorgehen der St.Galler Staatsanwaltschaft nicht verstehen», sagt Schriftsteller Peter Beutler. Sein Roman «Kristallhöhle» zum Doppelmord der beiden Mädchen im Jahr 1982 im Kobelwald erschien 2014. Bei Lesungen erlebe er stets, wie sehr der Doppelmord die Menschen auch nach über 30 Jahren noch beschäftigt. «Gerade bei so einem Fall, der die Menschen immer noch so bewegt, kann es doch nicht sein, dass die Staatsanwaltschaft alles vernichtet und man Hinweisen nicht mehr richtig nachgeht», so Beutler zu 20min.ch.
Auch Kriminologen haben kein Verständnis. Für den Tatortanalytiker Axel Petermann, der den Fall studiert hat, ist klar: «Hier gibt es zwei Opfer und Angehörige, die ein Recht haben, zu erfahren, wer der Täter ist.» Er verstehe deshalb nicht, warum alles vernichtet wurde, schreibt 20min.ch.
Und Strafrechtsprofessor Martin Killias weist noch auf einen anderen Punkt hin: «Ich finde die Vernichtung von Spuren generell fragwürdig, auch weil man so ein Fehlurteil nie entdecken kann.» Dass in den USA viele Fehlurteile noch nach etlichen Jahren aufgedeckt werden, liege eben auch daran, dass man dort die Spuren generell viel länger aufbewahre als in Europa, so 20min.ch.
«Der Fall ist verjährt. Es wird nie zu einer erneuten Untersuchung, einer Anklage oder einem Urteil kommen», beharrt hingegen Roman Dobler, Mediensprecher der Staatsanwaltschaft St.Gallen, gemäss dem «Tagblatt» auf dem obrigkeitlichen Standpunkt.
Das Vorgehen der St.Galler Staatsanwaltschaft befremdet: Obwohl Mord unglaublicherweise in der Schweiz nach 30 Jahren verjährt, hätte der Fall in der Zwischenzeit zumindest neu aufgerollt werden müssen – zur Tatzeit etwa war die DNA-Analyse unbekannt. Zudem wurden immer wieder Stimmen laut, die der Polizei vorwarfen, aus politischen Gründen nur oberflächlich zu ermitteln. Der Täter sei bekannt, aber ein «hohes Tier», so der Tenor.
Dass die Staatsanwaltschaft mit der Vernichtung aller Asservate solchen Mutmassungen Vorschub leistet, ist die eine Seite. Die andere ist, dass die Angehörigen von Karin Gattiker und Brigitte Meier ein Recht darauf haben, dass der Täter ermittelt und seiner Strafe zugeführt wird. Das eigenartige Verhalten der St.Galler Staatsanwaltschaft hinterlässt bei diesem Fall mehr als einen schalen Nachgeschmack.