Der Traum von einer transparenten Verwaltung

Der Traum von einer transparenten Verwaltung
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Eine Untersuchung der IHK Thurgau zeigt auf, dass insbesondere der Baubereich ein «Hotspot» für Knatsch mit Behörden ist. Bauunternehmer Alfred Müller bestätigt, dass lange Behandlungszeiten und kleinliche Regelauslegungen im Alltag ein Ärgernis sind. Ein Highlight-Text von Philipp Landmark aus der aktuellen LEADER-Ausgabe.

Seit 1979 arbeitet Alfred Müller für das grosse Ostschweizer Bauunternehmen Stutz AG mit Aktiengesellschaften in Hatswil (bei Amriswil), St.Gallen und Frauenfeld. 1988 hat er dessen Geschäftsführung übernommen und ist inzwischen als Verwaltungsratspräsident Chef von über 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. In den 40 Jahren, die er in der Baubranche miterlebt hat, habe sich der Aufwand als Folge von neuen Vorschriften «fast verdoppelt», wie er schätzt. Dies läge auch daran, dass aufgrund neuer Möglichkeiten wie etwa der baulichen Verdichtung für eine Baubewilligung weitaus mehr Fragen als früher abgeklärt werden müssten.

Trotz all seiner Erfahrung ist es ihm heute noch manchmal ein Rätsel, warum gewisse Dossiers unerklärlich lange in einem Amt liegen bleiben, während andere vorbildlich speditiv behandelt werden. Darauf angesprochen, ob es hier regionale Unterschiede gebe, sagt Müller: «Im Thurgau gab es eine Zeit, als ‹schnell› schneller war als heute. Und in St.Gallen ging es eigentlich immer ziemlich lange.»

Investitionen gefährdet 

Das deckt sich mit Rückmeldungen, die Peter Maag als Direktor der IHK Thurgau bekommt. In einer 2015 von der Fachhochschule St.Gallen für die IHK Thurgau durchgeführten Untersuchung sagte ein Drittel der befragten Unternehmer, dass die Thurgauer Behörden kleinlich seien. «Aber von denen, die auch in anderen Kantonen oder international tätig sind, hören wir stets, dass es dort noch ärger sei», sagt Maag. «In der Wahrnehmung unserer Mitglieder ist der Kanton St.Gallen viel restriktiver.»

121 IHK-Mitgliedsfirmen nahmen an der Untersuchung teil. 53 Prozent davon gaben an, dass die Belastung durch Regulierungen «hoch» bis «sehr hoch» sei. Gemäss der Studie ist dies insbesondere in den Themenbereichen Arbeitsrecht, Energie- und Umweltrecht sowie Baurecht der Fall. «Vor allem im Bau- und Umweltrecht können kleinliche Behördenentscheide gravierende Auswirkungen haben, weil sie oft mit hohen Kostenfolgen verbunden sind», schrieben die Studien-Autoren, und weiter: «Behördenentscheide insbesondere im Bereich des Baurechts können dazu führen, dass Investitionen überhaupt nicht getätigt, in einen anderen Kanton oder ins Ausland verschoben werden.»

 

Es «menschelet»

In der IHK-Studie wird die aus Unternehmersicht zu lange Bearbeitungsdauer von behördlichen Vorgängen kritisiert, Bauunternehmer Alfred Müller weiss aus eigener Erfahrung, was gemeint ist. Die Verfahrensdauer hänge unter anderem mit der Zahl der beteiligten Instanzen zusammen, die in die einzelnen Projekte mit einbezogen werden müssen, damit allein liessen sich aber frappante Unterschiede insbesondere zwischen kommunalen Verwaltungen nicht erklären. «Es menschelet», beobachtet Müller. Eine stringente Führung in einem Amt könne die Bearbeitungszeiten signifikant verkürzen. Und wenn eine kantonale Verwaltung für ein Projekt einen Begleiter bestimme, der das Geschäft betreue und über die einzelnen Ämter hinweg koordiniere, «dann geht es relativ zügig.» Wann und warum ein solcher Begleiter eingesetzt werde und wann nicht, wisse er als Bauherr aber nicht.

Der Chef der Stutz AG, die hauptsächlich in St.Gallen, im Thurgau und in Appenzell Ausserrhoden tätig ist, wünscht sich eine Vereinheitlichung von Standards bei Gemeinden und Kantonen in der Ostschweiz – «auf Basis der jeweils besten Lösung natürlich.» Den föderalistischen Wettbewerb möchte Alfred Müller damit nicht ausschalten: Wenn Flawil schneller arbeite als Weinfelden, sollte Weinfelden den Ehrgeiz entwickeln, gleich schnell zu werden.

Nachvollziehbare Entscheide

Zudem wünscht sich Alfred Müller eine bessere Nachvollziehbarkeit von Bearbeitungs- und Entscheidungsprozessen: «Wer die Zustellung eines Pakets erwartet, kann bei der Post digital jeden einzelnen Schritt nachverfolgen und genau sehen, wo die Sendung gerade ist. Das wäre im Sinne einer transparenten Verwaltung auch bei einem Baugesuch denkbar.» Immerhin: Der Staat scheint durchaus daran interessiert zu sein, was die Wirtschaft von ihm hält. Als die Studie der IHK Thurgau publiziert wurde, gab es eine grosse Nachfrage danach aus der Thurgauer Verwaltung. Allerdings wurden die Befindlichkeiten je nach Hierarchiestufe unterschiedlich aufgenommen: «Die Regierung konnte die Probleme der Unternehmer am besten nachvollziehen, je weiter runter es geht, desto weniger Verständnis zeigten die Verwaltungsleute», erinnert sich Peter Maag.

Tatsächlich könnte die Wirtschaft noch etliche Probleme aufzählen. Ein «ewiges Ärgernis» beispielsweise ist für Alfred Müller das öffentliche Submissionswesen. «Mit der Anwendung und Umsetzung der Submissionsverordnungen zeigen sich viele Stellen noch immer überfordert, was teilweise auch zu Willkür führt, wenn Reglemente gar nicht eingehalten werden», betont der Bauunternehmer.

  

Ermessensspielraum nicht genutzt

IHK-Direktor Peter Maag werden auch immer wieder Beispiele zugetragen, in denen die Verwaltung durchaus Ermessensspielraum hätte, diesen aber nicht zugunsten der Wirtschaft anwende. Bei einem Bauprojekt beispielsweise kritisierten Brandschutzfachleute den Eingangsbereich mit Empfangsdesk: Es sässen Leute im Fluchtweg, was nicht mehr zulässig sei. «Das hat mit gesundem Menschenverstand nichts mehr zu tun», sagt Maag, «man darf doch davon ausgehen, dass bei einem Brand diejenigen Leute am Empfang als erste rausrennen und nicht mehr im Fluchtraum sitzen.»

Auch Vorschriften für behindertengerechtes Bauen, die Gefahrenkarte für ein alle 300 Jahre vorkommendes Hochwasser, das Altlastenkataster oder die Denkmalpflege könnten Bauvorhaben verzögern und vor allem auch verteuern, wenn sie nicht vernünftig angewendet würden. Baugesuchsverfahren, die oft schon beim Kanton zu lange liegen blieben, könnten durch Einsprachen fast endlos verzögert werden. Peter Maag verweist auf das Beispiel des geplanten Outlets «Edelreich»: «Das Hin-und-Her dauert nun schon mehr als zehn Jahre.»

Umständlicher Zoll

Eine veritable bürokratische Hürde ist auch die Landesgrenze, die Zollbehörden machen den Unternehmern das Leben nicht gerade leicht. «Rasche Service-Einsätze über die Grenze werden schwierig» sagt Peter Maag, «und das Verschicken von kleinen Ersatzteilen wird unverhältnismässig teuer.» Für den Unternehmer David Ziltener, dessen in St.Gallen domizilierte Firma Tribotron hochspezialiserte Handabrieb-Prüfgeräte auch in die EU liefert, ist dies ein alltäglicher Ärger. «Der Zoll ist die Behörde, die mir am meisten Schwierigkeiten macht, weil er unpraktikabel ist.»

Ziltener schickt seinen Kunden periodisch Verbrauchsmaterial, das keinen grossen Wert hat. Dafür muss er einen hohen bürokratischen Aufwand stemmen und Versandkosten berappen, die in keinem Verhältnis zum Wert des Produkts liegen. «Es wird eine Verzollung vorgenommen, obwohl die Sendung eigentlich zollfrei ist.» Diese Verzollung koste dann 20 oder 30 Franken – und die Versandkosten erhöhen sich massiv, klagt der Unternehmer: «Wenn ich einen Artikel in Kreuzlingen verschicke, kostet das deshalb rasch 40 Franken, wenn ich das selbe Paket in Konstanz verschicke, kostet es fünf Euro.» Beim Import erlebt David Ziltener ähnliches: «Wenn ich in Deutschland ein kleines Ersatzteil bestelle, macht die Post die hohle Hand und verlangt 25 Franken für das Einziehen der Mehrwertsteuer.» Dies belaste eine Kleinbestellung unverhältnismässig.

Text: Philipp Landmark, Bild: Marlies Thurnheer