Coronavirus als „höhere Gewalt“?

Coronavirus als „höhere Gewalt“?
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Wie wirken sich die Massnahmen des Bundes rechtlich aus? Rechtsanwalt Silvio Hutterli, Partner der schochauer ag in St.Gallen, beantwortet Fragen zur Haftung und zu Verträgen von KMU.

Am 28. Februar 2020 hat der Schweizerische Bundesrat gestützt auf Artikel 6 Abs. 2 lit. b des Epidemiengesetzes die Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) in Kraft gesetzt, welche seither schon mehrfach überarbeitet und verschärft wurde. Diese bezweckt, die Verbreitung des Coronavirus in der Schweiz einzudämmen respektive die Häufigkeit von Übertragungen zu verhindern. Dabei wurden auch weitreichende Massnahmen ergriffen wie beispielsweise das temporare Verbot von Veranstaltungen oder auch die Schliessung ganzer Wirtschaftszweige. Dies hat insbesondere für Unternehmen direkte und zum Teil auch massive Auswirkungen auf bestehende Verträge und deren Auslegungen, aber auch auf zukünftige Vertragsausgestaltungen.

Gesetzliche Grundlagen

Das Epidemiengesetz regelt den Schutz des Menschen vor übertragbaren Krankheiten in der Schweiz. Dabei werden drei Bedrohungsstufen unterschieden. Am 16. März 2020 hat der Bundesrat die Situation in der Schweiz neu beurteilt und dabei die höchste Stufe, die „ausserordentliche Lage“, ausgerufen. Diese gibt dem Bundesrat die Möglichkeit, für das ganze Land oder einzelne Landesteile notwendige Massnahmen anordnen, wobei diese Anordnungen für die Kantone verbindlich sind.

Lediglich in den Bereichen, in welchen die Verordnung keine expliziten Bestimmungen enthält, behalten die Kantone ihre Zuständigkeiten.

Verbot von Veranstaltungen und Schliessung von Betrieben

Aufgrund der raschen Verbreitung des Virus hat der Bundesrat in Art. 6 COVID-19-Verordnung verboten, öffentliche oder private Veranstaltungen durchzuführen. Unter das Verbot fallen auch öffentlich zugängliche Einrichtungen, wobei namentlich auch Restaurationsbetriebe und Betriebe mit personenbezogenen Dienstleistungen mit Körperkontakt aufgeführt sind. Art. 6 Abs. 3 COVID-19-Verordnung sieht eine Reihe von Ausnahmen von diesem Verbot vor. So dürfen beispielsweise Lebensmittelläden oder auch Apotheken, Banken oder Bahnhöfe und andere Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs weiterhin geöffnet bleiben.

Zum aktuellen Stand vom 23. März 2020 fallen Handwerks- und Gewerbebetriebe, welche nicht öffentlich zugänglich sind, nicht unter dieses Verbot und dürfen weiterhin ihren Betrieb weiterführen. Die Erläuterungen zur Verordnung, welche auf der Website des Bundesamts für Gesundheit abgerufen werden kann, geht dabei detailliert auf einige Auslegungsfragen ein.

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Auswirkungen des Verbotes für die betroffenen Unternehmer

Vom bundesrätlichen Verbot betroffen sind zahlreiche Unternehmer und Personen in der Schweiz, beispielsweise Eventbetreiber, Restaurantbesitzer oder auch Handwerksbetriebe mit Publikumsverkehr. Oftmals sind dabei auch vertraglich vereinbarte Verpflichtungen tangiert, welche nun gar nicht mehr, nur teilweise oder aber auch nur verspätet erfüllt werden können.

Für diese Unternehmer stellt sich primär die dringende Frage, welche vertragsrechtlichen Folgen das Verbot hat und sekundär, unter welchen Voraussetzungen zukünftige Verträge abgeschlossen werden müssen, um allfällig zukünftige Haftungen ausschliessen zu können.

Coronavirus als „höhere Gewalt“?

Bei der vorliegenden Coronavirus-Epidemie stellt sich die Frage, ob dieses Ereignis ein Anwendungsfall der „höheren Gewalt“ darstellt. Als „höherer Gewalt“ werden unvorhersehbare und völlig aussergewöhnliche Ereignisse bezeichnet, welche mit unwiderstehlicher Kraft von aussen hereinbrechen.

Nach der „SARS-Pandemie“ im Frühjahr 2003, der „Vogelgrippe“ H5N1 im Jahr 2006/07 und der „Schweinegrippe“ H1N1 im Jahr 2009 stellt sich die Frage, ob eine solche Epidemie tatsächlich als unvorhersehbar und völlig ausserordentlich gelten kann, oder ob man nicht irgendwann mit dem Auftreten einer solchen Epidemie rechnen musste. Neu dürfte zumindest aber sein, dass mit der Bekämpfung der Epidemie weitreichende und einschneidende behördliche Verbote ausgesprochen wurden, womit wahrscheinlich zumindest in diesen Fällen vom Vorliegen „höherer Gewalt“ ausgegangen werden kann.

Haftung im Falle der „höheren Gewalt“?

Das Gesetz sieht in Artikel 119 OR vor, dass eine Forderung als erloschen gilt, soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist. Zudem regelt das Gesetz, dass bei zweiseitigen Verträgen der hiernach freigewordene Schuldner für die bereits empfangene Gegenleistung aus ungerechtfertigter Bereicherung haftet und er die noch nicht erfüllte Gegenforderung verliert. In der Lehre umstritten ist, ob es sich dabei tatsächlich um einen Fall der „ungerechtfertigten Bereicherung“ handelt oder ob nicht vielmehr die allgemeinen Vertragsbestimmungen der „Rückabwicklung“ zur Anwendung gelangen sollten.

Voraussetzung für eine Haftung aufgrund von Artikel 119 OR ist, dass die Leistung objektiv (d.h. für jedermann) nachträglich (d.h. die Unmöglichkeit ist nach Vertragsabschluss eingetreten) unmöglich geworden ist, ohne dass der Schuldner dafür die Verantwortung trägt. Aufgrund des bundesrätlichen Verbots, ist es beispielsweise für einen Veranstalter unmöglich, eine bereits angesetzte Veranstaltung an diesem Tag durchführen zu können und die Forderung geht dabei im Zeitpunkt des Unmöglichkeitseintritts von Gesetzes wegen unter. In diesem Falle hat der Veranstalter grundsätzlich die Pflicht, die Teilnehmer über die Absage der Veranstaltung zu informieren und die Ticketkosten zurückzuerstatten.

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„Unmöglichkeit“ der Leistungserbringung vs. lediglich „Verwendungsunmöglichkeit“?

Oftmals ist es bei einer vertraglichen Verpflichtung gar nicht so einfach zu bestimmen, ob tatsächlich ein Fall der „Unmöglichkeit“ einer Leistungserbringung gemäss Art. 119 OR vorliegt oder ob lediglich die ursprünglich angedachte „Verwendung der Leistung“ unmöglich wurde. Beim oben aufgeführten Beispiel der Veranstaltung ist es naheliegend, dass die vom Veranstalter vertraglich vereinbarte Leistung mit den Konzertbesuchern, nämlich der Auftritt des Künstler X am Tag Y in der Halle Z gegen Bezahlung eines Ticketpreises, aufgrund des behördlichen Veranstaltungsverbots objektiv unmöglich ist.

Bestellte hingegen der Caterer in der Halle beim Lieferanten Bier und Mineralwasser, ohne dass im Vertrag explizit geregelt wurde, dass dies für den erwähnten Auftritt verwendet werden soll, so ist die Lieferverpflichtung objektiv nicht unmöglich, sondern das Bier und Mineral kann nur nicht mehr für den ursprünglich vorgesehenen Zweck verwendet werden.

Abweichende vertragliche Vereinbarungen

Nebst der Frage, ob tatsächlich ein Fall der „Unmöglichkeit“ vorliegt, ist auch zu prüfen, ob zwischen den Parteien nicht eine andere vertragliche Haftungsvereinbarung abgeschlossen wurde. Die gesetzlichen Bestimmungen von Artikel 119 OR sind dispositiver Natur, d.h. sowohl gesetzliche Bestimmungen (z.B. im Pauschalreisegesetz) als auch vertragliche Vereinbarungen können die Gefahrentragung abweichend regeln. So ist beispielsweise denkbar, dass ein Veranstalter im Vertrag jegliche Haftung ausschliesst (Haftungsausschlussklauseln).

Ob solche Klauseln beispielsweise die Haftung eines Veranstalters gegenüber einem Teilnehmer gültig auszuschliessen vermögen, hängt davon ab, ob sie dem Konsens der Vertragsparteien entsprechen. Werden solche Haftungsausschlussklauseln vor Vertragsabschluss dem Teilnehmer mitgeteilt, so dürften sie gültig sein. Hingegen dürfte eine Ausschlussklausel schwieriger durchzusetzen sein, sofern eine solche lediglich auf dem Ticket aufgedruckt ist, welches dem Käufer nach Vertragsabschluss übergeben wird.

App Entwicklung  

Handlungsempfehlungen

Da das Gesetz in Artikel 119 OR lediglich den Grundsatz der Haftung bei „Unmöglich werden einer Leistung“ geregelt hat und vertragliche Abweichungen davon möglich sind, ist in jedem Fall genau zu prüfen, ob ein Fall der „Unmöglichkeit“ vorliegt und ob Haftungsausschlussklauseln den Fall nachträglicher Unmöglichkeit decken und auch gültig vereinbart wurden. Aber auch beim Abschluss von zukünftigen Verträgen lohnt es sich, das Vertragswerk auf genau solche Punkte zu prüfen, um mögliche zukünftige Haftungsrisiken minimieren zu können.

Autor: Silvio Hutterli (Bild), Dr. iur. et. lic. oec. HSG, Rechtsanwalt, Partner schochauer ag, St.Gallen