Breiter Widerstand gegen Mieterverbandsinitiative

Breiter Widerstand gegen Mieterverbandsinitiative
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Am 9. Februar stimmt das Schweizer Stimmvolk über die Mieterverbandsinitiative ab. Eine breite Allianz aus BDP, CVP, FDP, GLP und SVP sowie zahlreichen Verbänden lehnt die Initiative ab, darunter auch die Industrie- und Handelskammer St. Gallen-Appenzell, der HEV Kanton Thurgau und der HEV Kanton St. Gallen. Heute stellten sie ihre Argumente vor.

Die Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» verlangt, dass im Gegensatz zu heute nicht mehr der Wohnungsbau im Allgemeinen gefördert werden soll, sondern nur noch der Bau preisgünstiger Wohnungen. Der Anteil an gemeinnützigen Wohnungen am gesamten Neubau muss bei Annahme der Initiative 10 Prozent betragen. Nach dem Willen der Initianten sollen zudem Sanierungen nicht mehr zum Verlust von preisgünstigen Wohnungen führen. Zusätzlich sollen die Gemeinden und Kantone ein Vorkaufsrecht für geeignete Grundstücke einführen können.  

Hohe Leerstandsquote

Im Kanton St.Gallen stehen 2,18 Prozent aller Wohnungen zur Vermietung oder zum Kauf bereit, hält der HEV fest. In der Stadt St.Gallen sei der Leerwohnungsbestand mit 2,46 Prozent sogar noch höher. Selbst in der Ostschweiz lockten Vermieter in einigen Regionen bereits mit Gratismonaten und anderen Zusatzangeboten. «Dies zeigt klar auf, dass es mehr leere Wohnungen gibt und die Auswahl für die Mietinteressenten steigt», hält der HEV Kanton St. Gallen fest.

Teuer und unrealistisch

«Heute beträgt der Anteil der gemeinnützigen Wohnungen am gesamten Neubaubestand schweizweit wie auch im Kanton St.Gallen rund drei Prozent», sagt der HEV weiter. Um die Forderung der Initianten zu erfüllen, müssten also mehr als dreimal so viele Wohnungen durch gemeinnützige Wohnbauträger erstellt werden. Dafür würden fünfmal mehr Darlehen und damit zusätzliche Mittel in der Grössenordnung von 120 Millionen Franken pro Jahr benötigt. Die Quote in der Bundesverfassung würde den Bund zwingen, in den Bau von gemeinnützigen Wohnungen zu investieren, selbst wenn regional – wie im Kanton St.Gallen – gar kein Bedarf besteht, hält der HEV Kanton St. Gallen fest.

  

Wirkung am falschen Ort

In den grossen Städten wie Genf, Basel oder Zürich sei die Nachfrage nach Wohnraum nach wie vor hoch und die Leerwohnungsquoten tief. «Diese grossen Schweizer Städte haben bereits eine eigenständige Wohnungspolitik, um preisgünstige Wohnungen zur Verfügung zu stellen. In der Stadt Zürich sind beispielsweise 25 Prozent der Wohnungen im Besitz gemeinnütziger Wohnbauträger, die 10 Prozent Quote wäre hier also längst übererfüllt. Dort, wo es am ehesten nötig wäre, würde die Initiative also gar nichts bringen», hält der HEV fest.

Offen sei auch, ob es ausreichend Genossenschaften gäbe, die Projekte einreichen, so der HEV weiter In der Stadt St.Gallen zeigte sich in den letzten Jahren exemplarisch, dass trotz üppiger Fördermittel kaum Anträge gestellt werden. Der 1991 ins Leben gerufene 12 Millionen-Rahmenkredit über das «Reglement zur Erhaltung preisgünstiger Wohnungen» wurde in den vergangenen Jahren knapp zur Hälfte (CHF 6,5 Mio.) genutzt, so HEV.

Mehr noch: der letzte Antrag für Subventionen wurde 2011 bewilligt. Seither gab es keine Anträge mehr. Im Umkehrschluss müsste der Bund in St.Gallen gar Baubeschränkungen für Investoren erlassen, um die Quote zu erreichen, sagt HEV. Dadurch würden aber insgesamt weniger Wohnungen pro Jahr erstellt als bisher. «Eine Wirkung, die nicht im Sinne der Mieter sein kann, da sich dadurch das Angebot noch verknappen würde und die Mieten steigen würden», hält der HEV fest.

Energetischer Bumerang

Häufig macht es laut HEV Sinn, mit einer energetischen Sanierung weitere Erneuerungen an einer Liegenschaft anzugehen. Die Initiative fordert hier, dass Programme der öffentlichen Hand zur Förderung von Sanierungen nicht zum Verlust preisgünstiger Wohnungen führen dürfen. 

In der Praxis führt das laut dem HEV Kanton St. Gallen dazu, dass Vermieter die Mieten nach energetischen Sanierungen nicht mehr erhöhen dürften. Die Initianten machen für den HEV bei ihrer Forderung einen Denkfehler: Wenn eine Wohnung energetisch saniert werde und Fördergelder fliessen, dann steige die Miete dadurch weniger stark an als ohne Fördergelder. Die Mieter profitierten von diesen Geldern direkt. 

«Eine energetische Sanierung kostet jedoch deutlich mehr als die Fördergelder, die man erhält. Deshalb kann die Miete trotz Fördergeldern ansteigen. Dafür sinken die Nebenkosten, während der Wohnkomfort in der umweltfreundlicheren Wohnung meist steigt», argumentiert der HEV.  

Wenn die Mieten bei Projekten, die Fördergelder erhalten, künftig nicht mehr erhöht werden könnten, sinke die Zahl an energetischen Sanierungen mit hoher Wahrscheinlichkeit. Oder Bauherren würden auf Fördergelder verzichten, was die Mietpreiserhöhungen noch höher ausfallen liesse. Mit der Initiative würden Ziele der Energiestrategie mit Zielen der Sozialpolitik vermischt, dies sei klar abzulehnen.

  

Eine Viertelmilliarde für den gemeinnützigen Wohnungsbau

Die Wohnraumversorgung in der Schweiz müsse primär der Privatwirtschaft überlassen werden, ist der HEV Kanton St. Gallen überzeugt. «Dies sehen auch Bundesrat und Parlament so und haben die Initiative abgelehnt. Allerdings machen sie einen indirekten Gegenvorschlag: Wenn die Initiative zurückgezogen wird oder vom Volk abgelehnt wird, soll der Fonds de Roulement innerhalb der nächsten zehn Jahre um 250 Millionen Franken aufgestockt werden», hält der HEV Kanton St. Gallen fest. 

Der Fonds de Roulement ist das Förderinstrument des Bundes für den gemeinnützigen Wohnungsbau und ist aktuell mit 510 Millionen Franken dotiert. Jährlich wird mit diesen Mitteln der Bau von ca. 1500 Wohnungen subventioniert.

«Thurgau braucht keine Wohnquote»
Auch der Hauseigentümerverband Thurgau lehnt Mieterverbandsinitiative ab. Im Thurgau stehen zahlreiche Wohnungen leer. Eine Quote für mehr gemeinnützige Wohnungen sei deshalb unnötig und fördere lediglich die Bürokratie, betont Gallus Müller, Präsident des Hauseigentümerverbands Thurgau. Gerade im ländlichen Thurgau sei die Nachfrage nach Genossenschaftswohnungen gar nicht gross genug, um eine starre Quote zu rechtfertigen. Die Folge wäre noch mehr Bürokratie bei Bauprojekten. 

«Nein zur Verstaatlichung des Wohnungsmarktes»

Auch der Vorstand der IHK St. Gallen-Appenzell empfiehlt die Mieterverbandsinitiative zur Ablehnung. Der IHK-Vorstand erachtet die Einführung einer staatlichen 10-Prozent-Quote als kontraproduktiv. Zu erwarten wären laut IHK starre Vorgaben auf Gemeindeebene, die auch dann zu erfüllen wären, wenn gar keine Nachfrage nach gemeinnützigem Wohnraum bestehe. «Wenn die Quote nicht mit genügend gemeinnützigen Bauträgern erfüllt wird, wären Kantone und Gemeinden gar selbst zum Wohnungsbau verpflichtet. Dies widerspricht genauso dem grundsätzlichen Verständnis einer freien Wirtschaftsordnung wie die geplanten Grundstück-Vorkaufsrechte für Kantone und Gemeinden», sagt die IHK. 

 

Regionale Lösungen gefragt

Die IHK anerkenne, dass die Lage auf dem Wohnungsmarkt in einigen Schweizer Städten angespannt sei. Doch das düstere Bild der Initianten treffe nicht schweizweit zu. Gerade in der Ostschweiz sei eine Entspannung am Mietwohnungsmarkt zu beobachten. Doch auf solche Entwicklungen nehme die Initiative keinerlei Rücksicht. Stattdessen schlage sie ein flächendeckendes, teures und willkürliches Instrument vor, welches mehr Probleme schaffe, als es löse.