TG: Comeback der Grünliberalen

Jakob Stark wird wohl im 1. Wahlgang gewählt.
Ständerat
Ausgangslage
Nach dem Rücktritt des politischen Schwergewichts Roland Eberle aus dem Ständerat liebäugelte die SVP Thurgau damit, ihren Sitz mit dem früheren Nationalrat Peter Spuhler zu verteidigen. Die Gelegenheit schien günstig, hatte der Unternehmer doch gerade die Funktion des CEO von Stadler an Thomas Ahlburg abgegeben. Doch Spuhler entschied sich gegen eine Kandidatur. Daraufhin bewarben sich Regierungsrat Jakob Stark und Nationalrat Markus Hausammann als Ständeratskandidaten, die SVP nominierte schliesslich Stark. Hausammann, der das Nachsehen hatte, tritt als Nationalrat zurück. Auch Stark hat jetzt schon signalisiert, dass er unabhängig vom Wahlausgang als Regierungsrat zurücktreten werde.
Darin verbirgt sich allerdings auch ein gewisses Mass an Koketterie, denn Stark gilt als so gut wie gewählt und hat mit der Nomination durch seine Partei die grösste Hürde bereits hinter sich. Auch die amtierende CVP-Ständerätin Brigitte Häberli-Koller dürfte mit Blick auf den 20. Oktober keine schlaflosen Nächte haben. Ihre Wiederwahl gilt als gesichert.
Dennoch bewirbt sich eine Reihe weiterer Kandidatinnen und Kandidaten für den Ständerat. Die parteilose Gabi Coray wird eine Fussnote der Wahl bleiben, die anderen nutzen die Bühne, um ihre Nationalratskandidaturen zu pushen. Es sind dies SP-Präsidentin und Kantonsrätin Nina Schläfli, GLP-Kantonsrat Ueli Fisch und Grünen-Präsident und Kantonsrat Kurt Egger. Diese drei sind gleichzeitig Konkurrenten und Verbündete, ihre Parteien haben für die Nationalratswahl eine Listenverbindung beschlossen.
Prognose
Die Thurgauer Ständeratswahl birgt wenig Spannung. Alles andere als eine Wahl von Jakob Stark und der unbestrittenen bisherigen CVP-Ständerätin Brigitte Häberli wäre eine riesige Überraschung. Die drei Herausforderer haben zwar politisches Gewicht, sie fischen aber mehr oder weniger im selben Teich. Deshalb werden sie auch zu wenig Stimmen machen, um Häberli und Stark in einen zweiten Wahlgang zu nötigen.
Ergebnis:
Brigitte Häberli-Koller (CVP, bisher) und Jakob Stark (SVP) werden im ersten Wahlgang gewählt.
Nationalrat
Ausgangslage
135 Thurgauerinnen und Thurgauer stellen sich auf 23 verschiedenen Listen zur Wahl in den Nationalrat. Was auf den ersten Blick vielleicht mehr überrascht: Fast 44 Prozent der Kandidierenden sind Frauen. Auf den zweiten Blick scheint der hohe Frauenanteil allerdings durchaus System zu haben: Der Landkanton wird ja auch von einer Frauenmehrheit regiert, und um die sechs Nationalratsmandate kämpfen drei bisherige Nationalrätinnen. In der im Thurgau dominanten, staatstragenden SVP sind Frauen in Spitzenposition wie in anderen Parteien längst Alltag. Einzig die Thurgauer FDP hat hier Nachholbedarf – vielleicht ist das der Grund, weshalb dieses Jahr eine FDP-Frauenliste lanciert wurde. Im Thurgau sind die Wähleranteile in der Regel stabiler als die Listenverbindungen, die manchmal seltsame Blüten treiben. 2011 verlor die alleine antretende FDP ihren einzigen Sitz an die Grünliberalen, die mit der BDP, der EVP und der EDU ein Bündnis eingegangen waren.
Einer merkwürdigen Logik folgend, verknüpften vier Jahre später CVP und FDP zusammen mit BDP, EVP und GLP insgesamt elf Listen. Dieses Konglomerat ergatterte zwei Sitze – und innerhalb dieses Klüngels holte sich die FDP den Sitz von der GLP zurück. Gewählt wurde aus vier nahe beieinander liegenden Spitzenkandidaten der Unternehmer Hermann Hess, der seinen Sitz aber bald dem Thurgauer Gewerbeverbandspräsidenten Hansjörg Brunner überliess. Die SVP kratzte auch ohne den zurückgetretenen Peter Spuhler an der 40-Prozent-Marke. Hansjörg Walter, Verena Herzog und Markus Hausammann verteidigten ihre drei Sitze souverän. Hansjörg Walter trat in der Zwischenzeit zurück, für ihn rutschte die junge Unternehmerin Diana Gutjahr nach. Christian Lohr (CVP) und Edith Graf-Litscher (SP) wurden auf ihren jeweiligen Listen wiedergewählt, ohne in Bedrängnis zu kommen.
Analyse der Listen
Die SVP, die mit Markus Hausammann den Rücktritt eines Bisherigen kompensieren muss, steht bei dieser Wahl mehrfach unter Druck. Nicht nur spricht der nationale Trend gegen sie, auch die Wahlarithmetik könnte sich zuungunsten der klar grössten Thurgauer Partei auswirken. Die Listenverbindungen wurden 2019 wieder ganz neu geknüpft. Die GLP, die zuletzt keine Berührungsängste zur am rechten Rand politisierenden EDU aufgewiesen hatte, hat sich dem Bündnis von SP und Grünen angeschlossen und positioniert sich deutlich links.
In der Mitte haben sich CVP, BDP und EVP gefunden; die FDP hat sich der SVP angeschlossen, wo auch die EDU angebandelt hat. Wirtschaftsfrau Diana Gutjahr gilt im Vergleich der beiden SVP-Nationalrätinnen als liberaler als Verena Herzog. In einschlägigen Rankings liegen die beiden aber nahe beieinander. Herzog fällt manchmal allerdings mit unglücklich formulierten, ultrakonservativen Positionen auf, etwa zu Bildungsthemen. Hinter den beiden Frauen kandidieren vier Männer. Wenn die SVP den dritten Sitz behaupten kann, könnte Kantonsrat, Schwinger und Landwirt Manuel Strupler siegreich den Ring verlassen. Die Thurgauer EDU als Partnerin der SVP ist gegen den Zeitgeist gut imprägniert und tritt mit einer reinen Männerliste an, angeführt von Unternehmer und Kantonsrat Peter Schenk. Bei der FDP finden sich hinter dem bisherigen Nationalrat Hansjörg Brunner und dem Frauenfelder Stadtpräsidenten Anders Stockholm mit der Sekundarlehrerin Dominique Bornhauser und der Unternehmensberaterin Martina Pfiffner Müller immerhin zwei Frauen auf der Liste – die aber von sechs weiteren illustren Frauen auf einer FDP-Frauenliste unterstützt werden. Total heisst es also 8:4 für die FDP-Frauen.
Schön ausgeglichen sind die beiden Listen der CVP nicht nur, was die Geschlechter angeht. Der Bisherige Christian Lohr, der innerhalb der CVP eher links anzusiedeln ist, führt die Hauptliste an, auf den Platz hinter ihn setzte die Partei Kantonsrat und Landwirt Josef Gemperle. Mit Anne Varenne, der Präsidentin der Thurgauer CVP-Frauen und mit Maja Bodenmann, Kantonsrätin und Stadträtin von Diessenhofen, folgen dann die ersten Frauen. «Newcomer» nennt sich die zweite CVP-Liste, obwohl hier auch Leute kandidieren, die bereits ein politisches Mandat haben. Ein CVP-Newcomer ist allerdings Markus Berner, denn 2015 trat er noch als Präsident der BDP Thurgau an. Die BDP hat neben einer Hauptliste eine Liste Best-Agers und eine Liste Junge BDP eingereicht. Dabei hatte die Partei allerdings Mühe, die Sechser-Listen zu füllen und vor allem, Frauen zu finden. Immerhin wurde der Unternehmerin Karin Peter Kis der erste Listenplatz auf der Hauptliste zugestanden. Die EVP-Hauptliste mit je drei Männern und Frauen wird von Kantonsrätin Elisabeth Rickenbach angeführt, dahinter folgen mit Nina Beerli und Simon Frey zwei Theologen. Beim evangelischen Nachwuchs stehen vier Frauen zwei Männern gegenüber.
Klar ist die Hierarchie auf der linken Seite: SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher gilt als sicherer Wert im Bundeshaus, die Präsidentin der nationalrätlichen Verkehrskommission wird weiterhin im Zug nach Bern sitzen. Hinter ihr kann sich Nina Schläfli, die für die SP auch als Ständeratskandidatin antritt, für höhere Aufgaben empfehlen. Auf der Liste findet sich auch Turi Schallenberg, der als Kantonsratspräsident gerade noch der höchste Thurgauer war. Flankiert wird die SP-Liste von einer Liste SP 60+ und einer Juso-Liste. Der rote Nachwuchs tritt mit je drei Frauen und Männern an, auf den beiden anderen SP-Listen sind die Frauen in der Mehrheit.
Die Grünen hoffen auf die Gunst der Stunde, denn um ein Nationalratsmandat zu erobern, müssen sie vor allem die zuletzt vor ihnen liegenden Grünliberalen überholen. Auf der Liste mit Parteipräsident, Ständeratskandidat und Kantonsrat Jürg Egger an der Spitze finden sich drei weitere Kantonsräte. Dazu kommen je eine Liste mit Jungen Grünen und Grünen Panthern. Die Liste der Grünliberalen wird von Kantonsrat Ueli Fisch angeführt, er tritt auch für den Ständerat an. Hinter ihm kandidiert unter anderem Thomas Böhni, der 2011 bis 2015 für die Thurgauer GLP im Nationalrat sass. Frauen besetzen zwei der sechs Linien. Neben der Hauptliste möchte die GLP mit einer Liste der Jungpartei und einer Liste «GLP engagiert» Stimmen sammeln.
Prognose
Es ist gut möglich, dass 2019 eine Sitzverschiebung ausbleibt und das Thurgauer Sextett im Nationalrat für die nächsten vier Jahre dieselben Farben trägt wie jetzt. Es braucht aber nicht viel, damit es anders kommt. Die neue Listenverbindung CVP-BDP-EVP wäre 2015 auf 19,2 Prozent der Stimmen gekommen, SVP-FDP-EDU auf 56,3 Prozent, und SP-GPGLP auf 24,3 Prozent. Auch bei leichten Gewinnen oder Verlusten ist der CVP-Sitz von Christian Lohr ungefährdet, SVP-FDP aber werden sich mit drei der sechs Sitze begnügen müssen. Davon fällt einer FDP-Mann Hansjörg Brunner zu, weshalb die SVP neben Verena Herzog und Diana Gutjahr keinen dritten Vertreter nach Bern schicken wird. Dieser Sitz wechselt ins links-grüne Lager, SP-GP-GLP kommen auf zwei Mandate. Klar ist der Sitz der SP mit Edith Graf-Litscher. Von den beiden Junior-Partnern dürften die Grünliberalen erneut besser abschneiden als die Grünen, womit Ueli Fisch neuer Nationalrat wird.
Ergebnis:
Die SVP verliert den dritten Sitz, die GLP gewinnt einen Sitz. Gewählt werden Verena Herzog (SVP, bisher), Diana Gutjahr (SVP, bisher), Hansjörg Brunner (FDP, bisher), Christian Lohr (CVP, bisher), Edith Graf-Litscher (SP, bisher) und Ueli Fisch (GLP).