100 Jahre Leica

Grundstein der modernen Vermessung

Grundstein der modernen Vermessung
Lesezeit: 6 Minuten

Am 26. April 1921 wurde in Heerbrugg die «Heinrich Wild, Werkstätte für Feinmechanik und Optik» gegründet. Die Unternehmensgeschichte war geprägt von Wandel und Beständigkeit – und aus den Ursprüngen ist mit Leica Geosystems AG ein wesentlicher Baustein des Technologiekonzerns Hexagon entstanden.

Gründer Heinrich Wild ist ein Meister der Innovation und revolutionierte das Vermessungswesen mit kleineren, handlicheren und dennoch genaueren Instrumenten. Heerbrugg ist immer wieder Ursprung grosser Neuerungen, wie etwa 1968 der erste optoelektronische Distanzmesser, 1977 der erste elektronische Theodolit mit digitaler Datenerfassung, 1984 das erste auf GPS-Signalen basierende Vermessungssystem, 1990 das erste Digitalnivellier, 1993 der erste handgehaltene Laserdistanzmesser, 2000 der erste digitale Luftbildsensor und 2019 der kleinste, leichteste und benutzerfreundlichste Laserscanner. Was ist das Erfolgsrezept dieser hundertjährigen Innovationsgeschichte?

Schwieriger Anfang

Die Strukturkrise der Stickerei-Industrie in den frühen Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts trifft die Ostschweiz und besonders das Rheintal derart hart, dass die Auswirkung sogar diejenige der zehn Jahre später folgenden Weltwirtschaftskrise übertrifft. Weil gleichzeitig auch die grossen Projekte der Rheinregulierung zu Ende gingen, brauchte es dringend neue Arbeit für die Rheintaler.

  Heinrich Wild hat nach seiner Tätigkeit bei der Eidg. Landestopographie als Oberingenieur bei den Zeiss-Werken in Jena die geodätische Abteilung aufgebaut. Er geniesst in der Vermessungswelt bereits den Ruf eines genialen Erfinders. Wegen der unsicheren Zukunft nach dem Krieg und der dauernden Geldentwertung will er mit seiner Familie in die Schweiz zurückkehren.

Mit Konstruktionsplänen von geodätischen und photogrammetrischen Instrumenten im Kopf sucht er in der Schweiz Teilhaber zur Gründung einer optisch-feinmechanischen Versuchswerkstätte. Er erinnert sich an seinen Offizierskollegen Dr. Robert Helbling in Flums, der als Inhaber eines bekannten Vermessungsbüros die Marktbedürfnisse bestens abschätzen kann. Helbling kennt aus der gemeinsamen Studienzeit an der ETH den Rheintaler Industriellen Jacob Schmidheiny, der schnell an diesem Vorhaben gefallen findet. Er verfügt als erfolgreicher Unternehmer über einen entsprechenden Spürsinn und über das nötige Geld. Ein Leitgedanke steht für Jacob Schmidheiny von Beginn an fest: «Arbeit dem Rheintaler Volk».

So unterzeichnen die drei am 26. April 1921 den Vertrag zur Gründung der «Heinrich Wild, Werkstätte für Feinmechanik und Optik, Heerbrugg».

  

Erste Dividende nach acht Jahren

Heinrich Wilds Vision eines kleinen, kompakten Universaltheodoliten erweist sich in der Realisierung als äusserst anspruchsvoll. So können im Jahr 1924 von den geplanten 350 T2 Theodoliten nur 27 fertiggestellt werden Erst 1929 ist das Unternehmen auf sicherem Boden, und es kann erstmals eine Dividende ausbezahlt werden.

Der zweite Produktbereich, für den die Erfindungen Heinrich Wilds die Voraussetzung schaffen, ist die Photogrammetrie, die auf wirtschaftlichste Weise die Herstellung genauer Karten wie etwa der damals neuen Schweizer Landeskarte gestattet. Die Phototheodoliten, Autographen und Luftbildkammern von der Firma Wild erlangen schnell Weltruf.

Die immer bedrohlicher werdende politische Lage in den Dreissigerjahren steigert auch in der Schweiz den Bedarf an Militärinstrumenten. In Rekordzeit werden Prototypen von Telemetern, Zielfernrohren, Rundblickfernrohren und Batterie-Instrumenten entwickelt, gebaut und in Bern vorgeführt. Wild wird in der Folge quasi zum «Hoflieferanten» der Schweizer Armee, und es kann in Heerbrugg wieder kräftig ausgebaut werden.

Das Elektronikzeitalter beginnt

1958 wird in Heerbrugg eine Elektronikabteilung aufgebaut; 1962 wird in Wien der erste Mikrowellen-Distanzmesser vorgestellt. Im Jahre 1963 kostete ein solcher Distomat DI50 rund 40 Monatslöhne eines Vermessungsingenieurs. Solch disruptive Lösungen sind zu Beginn oftmals extrem teuer und deshalb nur für sehr spezielle Anwendungen sinnvoll und wirtschaftlich.

 Der erste Infrarot-Distanzmesser DISTOMAT DI10 wird zusammen mit der französischen Firma Sercel entwickelt und kommt 1968 auf den Markt. Er revolutioniert als erster Nahbereichs-Distanzmesser die Vermessungstechnik. Es sind die Anfänge der Optoelektronik, die eine zentrale technologische Kernkompetenz in Heerbrugg werden wird.

  Weltweit sitzen in der Nacht vom 21. Juli 1969 viele Menschen gespannt vor ihren Fernsehern, als im Zuge der Apollo-11-Mission mit den Astronauten Neil Armstrong und Buzz Aldrin die ersten Menschen den Mond betreten. Die NASA setzt verschiedene Instrumente aus Heerbrugg bei ihrem Mondlandeprogramm ein. So wird etwa der T3 bei der Orientierung des sogenannten «Inertial Guidance System» und der T2 zur optischen Ausrichtung der Mondlandefähre LEM beim Bau verwendet. Während der Fernsehübertragung des spektakulären Mondflugs ist auf dem Bildschirm ein Astronaut zu sehen, der Positionsbestimmungen durchführt. Das Objektivsystem des verwendeten Instruments wurde von Wild geliefert.

In den Siebzigerjahren erlebt die analoge Photogrammetrie ihren Höhepunkt. 1975 verlässt der tausendste Autograph A8 das Werk Heerbrugg. Er wird auch als «Volkswagen der Photogrammetrie» bezeichnet. Die technologische Entwicklung und insbesondere die Digitalisierung bringen aber schliesslich das Autographen-Geschäft zum Erliegen. Bildverarbeitung und Informatik werden zu neuen Königsdisziplinen für die darauffolgende digitale Photogrammetrie.

1977 wird in Stockholm der vollautomatische elektronische Infrarottachymeter TC1 vorgestellt. Die Elektronik übernimmt das Messen der Distanz und der Winkel sowie das Protokollieren der Messwerte. Als Datenspeicher wird ein Kompaktkassettengerät verwendet. Damit beginnt das Informatikzeitalter in der Vermessung.

1984 wird die «WM Satellite Survey Company» als Joint Venture mit der «Magnavox Government and Industrial Electronics Company» in Torrance, Kalifornien, gegründet. Bereits 1985 darauf wird das neue GPS-Vermessungssystem WM101 vorgestellt. Es ist der Beginn der GNSS-Erfolgsgeschichte, die bis heute anhält.

Auch interessant

Leica Geosystems und Xwatch verbinden Sicherheitslösungen
Ostschweiz

Leica Geosystems und Xwatch verbinden Sicherheitslösungen

Diversity ist mehr  als ein HR-Programm
Schwerpunkt Frauen im Kader

Diversity ist mehr als ein HR-Programm

«Wir wollen Frauen  und ihre Rechte stärken»
Schwerpunkt Frauen im Kader

«Wir wollen Frauen und ihre Rechte stärken»

Wild Heerbrugg – Wild-Leitz – Leica – Leica Geosystems

1988 bis 2000 sind bewegte Jahre, was Firmennamen, Zusammensetzung und Eigentumsverhältnisse angeht. Mit der Übernahme von Kern in Aarau kam auch eine gebündelte Ladung Industriemesstechnik nach Heerbrugg, die heute innerhalb des Hexagon-Konzerns nach wie vor ein wichtiges Marktsegment darstellt.

1990 erregt das NA2000 als erstes Digitalnivellier der Welt grosses Aufsehen. Das «Geheimnis» des Geräts liegt im dazugehörigen Algorithmus: Industriemathematiker mussten einen auf dem PC funktionierenden Auswertealgorithmus so optimieren, dass er auf einem Feldgerät in nützlicher Zeit gute Ergebnisse liefert.

Die Idee, auf Basis aller Erfahrungen mit den hochwertigen Aufsatz-Distanzmessern eine genauere Alternative zu den erhältlichen Ultraschall-Geräten und Stahlmassbändern auf den Markt zu bringen, wurde zunächst intern eher belächelt. Schliesslich setzt aber der DISTO, das erste Handlasermeter der Welt, 1993 neue Akzente.

Zusammen mit dem Institut für Optische Sensorsysteme des DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) wird die erste digitale Luftbildkamera, die ADS40, entwickelt und im Jahr 2000 vorgestellt. Der Erfolg des Sensors wird auch massgeblich von einem robusten Workflow bestimmt, der eine effektive und reibungslose Verarbeitung der massiven Datenmengen bedingt, die im Flugbetrieb generiert werden.

Mit der Übernahme der kalifornischen Firma Cyra Technologies steigt Leica Geosystems im Jahr 2000 als erstes Vermessungsunternehmen in die Zukunftstechnologie Laserscanning ein.

Neben den eigenen Innovationsleistungen spielen Akquisitionen eine immer grössere Rolle in der Weiterentwicklung des Lösungsangebotes. Eine zusätzliche Beschleunigung erfährt dieser Trend durch die Übernahme von Leica Geosystems durch den schwedischen Technologiekonzern Hexagon AB im Jahr 2005. In den letzten zehn Jahren werden rund 50 Firmen akquiriert, die einerseits die Präsenz in den Schwellenländern stärken und andererseits die Expansion in neue Zielmärkte unterstützen.

Mit dem CityMapper wird 2016 der weltweit erste «fused sensor» für Luftaufnahmen mit komplett neu entwickelten Kameras und Lasersensoren eingeführt; 2017 wird das erste GNSS mit echter Neigungskompensation vorgestellt. Der GS18 T ist der schnellste und anwenderfreundlichste GNSS-RTK-Rover der Welt. Ebenfalls 2016 stellt CTO Burkhard Böckem bei der Autodesk University 2016 den BLK360 der Öffentlichkeit vor. Der Laserscanner mit und einem Gewicht von nur 1,1 kg das kleinste, leichteste und leistungsfähigste Gerät auf dem Markt. Er gewinnt unzählige Design- und Innovationspreise.

2019 wird in Las Vegas der erste tragbare bildgebende Laserscanner BLK2GO vorgestellt. Er digitalisiert in Echtzeit Räume in 3D mithilfe von Bildern und Punktwolken. Und nochmals winkt der Geist von Heinrich Wild – «klein, leicht und mobil» wie der T2.

  

Das nächste Kapitel

Hexagons Geosystems Division wird in den fünf Kernbereichen Vermessung, Bau, Grossmaschinensteuerung, Bergbau und raumbezogene Lösungen weiter Innovationsgeschichten schreiben. Doch durch die potenziellen Anwendungsmöglichkeiten für neu aufkommende Technologien tun sich auch neue Märkte auf: Mobile 3D-Scannertechnologie und Softwarelösungen erlauben Ermittlern die digitale Dokumentation von Tatorten oder Unfallstellen oder verschaffen Bauforschern und Archäologen ungeahnte Einblicke.

Mithilfe von Lasern, GNSS-Empfängern und Totalstationen werden in der Medien- und Unterhaltungsbranche digitale Abbilder realer Objekte oder Umgebungen zur Integration in Filme und Spiele erstellt, während Stadtplaner mit denselben Technologien räumliche Entwicklungsmodelle generieren. Benutzerfreundliche Monitoringlösungen helfen bei der Erkennung von Elementarrisiken, unterstützen die Instandhaltung von Gebäuden oder ermöglichen die Überwachung von Bahninfrastruktur – um nur einige weitere mögliche Anwendungen zu nennen.

Hexagon investiert jährlich zwischen zehn und zwölf Umsatzprozente in die Forschung und Entwicklung. Erfolgreiche Innovation braucht aber auch eine entsprechende Unternehmenskultur. Seit dem Beginn von 1921 ist es stets wichtig geblieben, die guten lokalen Voraussetzungen mit neuen, von aussen hereingeholten Ideen zu mischen. Die Diversität des multinationalen Mitarbeiterstamms in Heerbrugg, dem Menschen aus 50 Nationen angehören, unterstützt und fördert die Innovationskultur des Unternehmens.

Für die Zukunft plant Hexagon die Entwicklung innovativer Technologien, die Nachhaltigkeit durch verbesserte Effizienz, erhöhte Sicherheit und minimale ökologische Belastung begünstigen. Durch die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in seinem Innovationsprozess strebt Hexagon eine Verringerung seines Kohlendioxidausstosses an. Gleichzeitig werden bestehende und neue Kunden von Hexagon dabei unterstützt, die Herausforderungen des Klimawandels schnell, einfach und effizient anzugehen.

Auch interessant

Hat der Schlüssel bald ausgedient?
Fokus Sicherheit

Hat der Schlüssel bald ausgedient?

Aus Appenzell zu Brioni, Hermès, Zegna & Co.
Wirtschaft

Aus Appenzell zu Brioni, Hermès, Zegna & Co.

Auf dem Weg zur weltweiten Nummer 1
Wirtschaft

Auf dem Weg zur weltweiten Nummer 1

Schwerpunkte