Fokus 125 Jahre Baumeisterverband

Von der Maurerkelle zu Tablets und Drohnen

Von der Maurerkelle zu Tablets und Drohnen
Thomas Toldo: Völlig überregulierter Markt.
Lesezeit: 4 Minuten

Der Schweizerische Baumeisterverband feiert heuer sein 125-Jahr-Jubiläum. Mit ihren Bauwerken prägt die Branche die Schweiz wie kaum eine andere. Thomas Toldo, Präsident des Baumeisterverbands des Kantons St.Gallen und Vorsitzender des Baumeisterverbands Ostschweiz, blickt mit dem LEADER in die Vergangenheit – und in die Zukunft.

Thomas Toldo, was sind für Sie die grössten Fortschritte der letzten 125 Jahre auf dem Bau?
Im personellen Bereich darf der Baubranche attestiert werden, dass Bauen viel sicherer geworden ist; die Anzahl Berufsunfälle ist enorm zurückgegangen. Baulich wurden viele Verbindungen von Menschen für Menschen geschaffen – als Gebäude, als Strassen oder als Schienen. Der Infrastrukturbau wurde so zur Lebensader der Schweiz! Und schliesslich haben Mechanisierung und Digitalisierung viele Arbeitsprozesse erleichtert und grosse Effizienzsteigerungen ermöglicht.

«Das Saisonnierstatut könnte einige unserer Probleme lösen.»

Der Fachkräftemangel macht aber auch vor der Bauwirtschaft nicht halt.
Ja, und dies nicht nur in der Bauausführung, sondern schon vorab bei der Projektierung, sodass einige Bauvorhaben gar nicht erst zur Ausschreibung kommen.

Wo sehen Sie weitere Herausforderungen?
Die Bauwirtschaft befindet sich in einem völlig überregulierten Markt. Hier Handlungsspielräume zu finden, ist sehr anspruchsvoll. Ganz aktuell sind jetzt auch die Materialbeschaffung und die Lieferketten zum Thema geworden.

Wie steht es um den sorgsamen Umgang mit Ressourcen?
Der hat schon lange Einzug gehalten. Die Bauunternehmungen können es sich schlicht nicht leisten, Nachhaltigkeit bei Arbeit, Boden und Kapital zu vernachlässigen. Aus ökologischer Sicht sind Bioöl in Baumaschinen, Partikelfilter, Verbrauchsoptimierungen und Recycling Standard. Aber auch für unsere Kunden leisten wir einen grossen Beitrag, so tragen Gebäudesanierungen doch einen wesentlichen Teil zur Energieeffizienz bei. Politik und Gesellschaft sind in den letzten Jahren sensibler für das Thema Nachhaltigkeit geworden. Daher wird dieser Aspekt einen noch grösseren Einfluss auf unseren Alltag haben.

Spiegelt sich das auch in den Materialien wider?
Ja. Kreislauforientiertes Bauen und die Wandlung von Bauabfällen zu hochwertigen Recycling-Baustoffen wird nochmals an Bedeutung gewinnen. Aktuell bestehen im Kanton St.Gallen rund 70 Anlagen, die Baustoffe rezyklieren und im Umfang von zirka 750 000 Tonnen wieder dem Markt zuführen. Die aktive Ressourcenschonung ist aber auch ein guter Nährboden für Innovationen: CO2-neutraler Beton mit Pflanzenkohle oder die mechanische Trennung des Bitumens vom Kies anstelle einer chemischen Trennung sind zwei Stichworte. An beiden Innovationen sind Ostschweizer Unternehmungen beteiligt.

  

Kreislauforientiertes Bauen bedeutet aber, den gesamten Bauprozess zu überdenken.
Ziel muss es sein, möglichst wenig Bauabfälle zu produzieren, ein Minimum einer Endlagerung zuzuführen und dadurch den Deponieraum zu schonen. Konkret müssen wir erreichen, dass 100 Prozent des Ausbauasphalts rezykliert werden und Mischabbruch aus dem Hochbau den Weg in minderwertige Betonbauteile findet. Dazu ist eine Schulung aller Beteiligten nötig. Planer, Bauherren, aber auch Unternehmer sind hier in der Pflicht. Letztlich müssen Recyclingprodukte fester Bestandteil von Ausschreibungen werden. Dabei dürfen Sanierungsmöglichkeiten oder Wiederverwendbarkeit nach dem Lebenszyklus nicht vergessen werden.

Gerade schwere Baumaschinen sind aber häufig CO2-Schleudern.
Hier werden die Bemühungen der Bauwirtschaft verkannt. Die Branche ist sich ihrer Verantwortung bewusst und hat zwischen 2010 und 2015 über eine Milliarde Franken in Partikelfilter investiert. Zudem werden auch in Baumaschinen die neuesten Technologien verbaut, den strengen Ausstossvorschriften nachgelebt und die Emissionen stark reduziert. Teilelektrifizierte Baumaschinen sind bereits seit Jahren im Einsatz und werden künftig nochmals zunehmen. Die Praxis zeigt aber auch schonungslos die aktuellen Grenzen auf. Weiterer technologischer Fortschritt ist gewünscht!

Kommen wir auf den Fachkräftemangel zurück: Wie akut ist das Problem in der Baubranche?
Sehr akut – und er wird sich noch weiter akzentuieren. Dies zeigt sich im Einbruch der Lehrlingszahlen, die in den letzten fünf Jahren in der Ostschweiz um ein Drittel zurückgegangen sind. Die Frühpensionierung der Babyboomer verschärft die Lage nochmals, sodass der Fachkräftemangel alle Ebenen erfasst. Es wird in Zukunft Situationen geben, dass Bauvorhaben nicht in der gewünschten Fristigkeit erstellt oder Ausführungen gar nicht erst angenommen werden können.

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Und wie stark ist der heutige Markt ein Arbeitnehmermarkt geworden?
Das Bauhauptgewerbe bietet zwar bereits heute ausgezeichnete Anstellungsbedingungen und Weiterbildungsmöglichkeiten. Der aktuelle Gesamtarbeitsvertrag darf seinesgleichen suchen! Das Pendel hat dennoch klar zum Arbeitnehmermarkt hin ausgeschlagen, der heute zum Teil die Arbeitsbedingungen diktiert. Im Trend liegen Arbeitszeitflexibilisierungen und Teilpensen. Die Unternehmenskultur ist leider in den Hintergrund getreten. Dass in diesem Umfeld unsere Sozialpartner ein dauerndes Bashing veranstalten, kann ich daher nicht nachvollziehen.

Wäre die Wiedereinführung einer Art «Saisonnierstatuts» eine mögliche Lösung?
Das Saisonnierstatut könnte einige unserer Probleme lösen, nicht aber diejenigen des Fachkräftemangels. Die Problematik betrifft ja nicht nur die Schweiz. Bereits heute ist es schwierig, ausländische Mitarbeiter zu rekrutieren. Zudem ist in unseren Breitengraden das Bauen, insbesondere im Hochbau, zu einem ganzjährigen Thema geworden.

Mit dem SBV-Masterplan 2030 werden die Aus- und Weiterbildung den zukünftigen Anforderungen angepasst. Dabei nimmt die Bedeutung des technischen Know-hows zu. Wird die Baubranche zunehmend «akademisiert»?
In der Tat ist eine vermehrte «Akademisierung» in der Berufsbildung festzustellen. Dies gilt auch für die Baubranche. Die Berufsfelder haben sich zudem gewandelt: Tablets, Drohnen oder andere Digitalisierungstools werden beim Maurer bald den gleichen Stellenwert wie die Maurerkelle haben. Diesem Wandel müssen wir Rechnung tragen – auch in der Ausbildung. Ich bin aber überzeugt, dass das eigentliche Handwerk immer gefragt sein wird.

«Der momentane Arbeitnehmermarkt diktiert zum Teil die Arbeitsbedingungen.»

Dann hat die Digitalisierung auf dem Bau schon begonnen?
Schon vor Jahren! Sei dies in der Vermessungstechnik, der Einbindung der Baumaschinen oder in der Administration. Eigentlich überall, wo Unternehmungen direkt Einfluss nehmen können und sich Effizienzgewinne versprechen. BIM (Building Information Modeling) steckt noch in den Kinderschuhen, müsste aber auch von Planern und Ingenieuren vorangetrieben werden. Die Ausführung hat sich dann danach zu richten. Auch die 3D-Drucktechnologie ist bei uns noch nicht so verbreitet. Sie wird das traditionelle Bauen, aufgrund der individuellen Bauart, auch noch nicht so schnell verdrängen.

Unterstützt der SBV seine Mitglieder auch bei der Digitalisierung?
Ja, mit dem Branchentransformationsprogramm Baumeister 5.0. Der SBV stellt damit personelle Fachressourcen für die Digitalisierung bereit. Er unterstützt Bauunternehmen in der Ermittlung ihres digitalen Reifegrads und legt zusammen mit der Unternehmung die digitalen Handlungsfelder fest. Sollte zusätzliche Unterstützung notwendig sein, stellt der SBV sein Netzwerk von qualifizierten Fachexperten und Lieferanten zur Verfügung. Zudem werden sämtliche Mitglieder laufend mit wissenswerten Artikeln und Studien bezüglich Digitalisierung und digitaler Transformation im Baugewerbe bedient.

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