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Die MEM-Branche auf Aufholjagd

Die MEM-Branche  auf Aufholjagd
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Die Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie hat sich im ersten Quartal 2021 von den Rückgängen des letzten Jahres infolge der Corona-Pandemie weitgehend erholt. In der Ostschweiz ist die MEM-Industrie die grösste industrielle Arbeitgeberin und zählt zu den bedeutendsten Exportbranchen der Region. Eric von Ballmoos, Ostschweizer Vorstandsmitglied von Swissmem, und Jürg Marti, Direktor von Swissmechanic, dem Arbeitgeberverband der KMU in der MEM-Branche, kämpfen mit verschiedenen Herausforderungen.

«Die MEM-Branche ist definitiv in der Erholungsphase angekommen», freut sich Swissmechanic-Direktor Jürg Marti. Dies gelte in der Ostschweiz genauso wie in der restlichen Schweiz. Das aktuelle Wirtschaftsbarometer von Swissmechanic zeigt denn auch, dass die befragten Mitgliedunternehmen das Geschäftsklima im April 2021 wieder als neutral einstufen, während es im Januar noch als klar negativ bewertet wurde.

«Investitionsgüter, primär im Maschinenbau, haben mehr gelitten als die übrigen Branchen.»

«Man muss sich aber bewusst sein, dass der Fall der MEM-Branche letztes Jahr sehr tief war», betont Marti. Für die Ostschweiz schätze BAK Economics, dass die Bruttowertschöpfung der MEM-Branche 2020 um rund zehn Prozent einbrach, während es im Durchschnitt der Ostschweizer Branchen «nur» drei Prozent waren. «Es gibt für die MEM-Branche also viel aufzuholen – und die Erholung ist noch längst nicht abgeschlossen», hält Marti fest. Dies bestätigt auch Eric von Ballmoos, Vorstandsmitglied von Swissmem. «Tendenziell haben Investitionsgüter, primär im Maschinenbau, sicher mehr gelitten als die übrigen Branchen», so von Ballmoos. Dies bestätigt auch Jürg Marti. «Am wenigsten betroffen war in der Ostschweiz die Metallindustrie, am stärksten der Fahrzeugbau, während die Elektroindustrie und der Maschinenbau eine Mittelposition einnahmen.»

Insgesamt war die MEM-Branche in den verschiedenen Regionen der Ostschweiz ähnlich stark von der Krise betroffen, sind sich Marti und von Ballmoos einig. «Im laufenden Jahr zum Beispiel dürfte der Aufschwung der MEM-Branche im Kanton Appenzell Ausserrhoden gebremst verlaufen. Ein Faktor ist, dass Huber+Suhner den Standort Herisau redimensioniert», so Marti.

Mehr Aufträge, stabile Beschäftigung

Dass sich die Branche langsam erholt, zeigen auch die aktuellen Zahlen: Die MEM-Exporte haben gemäss Swissmem-Statistiken im 1. Quartal 2021 gegenüber dem Vorjahresquartal um 3,3 Prozent zugenommen. Die Exporte in die EU sind um 8,1 Prozent gestiegen, jene nach Asien um 2,5. Die Exporte in die USA waren mit -2,7 Prozent noch leicht rückläufig. Bei den Subbranchen legte der Maschinenbau um 2,6 Prozent zu, Metalle um 11,6 und die Elektrotechnik/Elektronik um 2,2 Prozent. Nur die Präzisionsinstrumente verloren 1,7 Prozent.

Für das 2. Quartal zeigen sich die MEM-Unternehmen optimistisch. Swissmechanic hat die Unternehmen diesbezüglich nach ihren Erwartungen befragt. «Die Unternehmen rechnen mit einer starken Steigerung der Aufträge und Umsätze gegenüber dem Vorjahresquartal», sagt Jürg Marti.

«Auch auf dem Arbeitsmarkt zeichnet sich für die MEM-Branche eine Entspannung ab», so Marti. Letztes Jahr musste die Branche trotz Kurzarbeitsentschädigung Arbeitsplätze abbauen, auch in der Ostschweiz. «Für dieses Jahr rechnen wir damit, dass in der Ostschweizer MEM-Branche dem fortgesetzten Stellenabbau bei einigen Unternehmen ein Stellenaufbau bei anderen Firmen gegenübersteht, die Beschäftigung insgesamt also nicht weiter sinkt.»

  

Lieferketten bereiten Sorge

Der stark exportorientierten MEM-Branche bereiten die Lieferketten nach wie vor Sorgen. «Im April 2021 haben 43 Prozent der befragten KMU der Schweizer MEM-Branche angegeben, dass Unterbrüche in den Lieferketten ihre Tätigkeit beeinträchtigen», hält Marti fest. Das stellt eine starke Zunahme gegenüber Januar 2021 dar (23 Prozent) und entspricht praktisch dem Vorjahreswert. «In den Lieferketten knirscht es momentan also gewaltig.»

Verantwortlich dafür seien konjunkturelle Aufholeffekte in globale Verschiebungen in Konsum- und Produktionsmustern. Diese führen zu internationalen Kapazitätsengpässen im Frachthandel und zu Engpässen bei der Verfügbarkeit von Rohmaterialien und Vorleistungsgütern wie z. B. Mikrochips. Dies macht sich auch in den Preisen bemerkbar. «Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Engpässe nur temporärer Natur sind und die MEM-Branche bremsen, aber nicht ausbremsen», so Marti.

«Die Erholung ist noch längst nicht abgeschlossen.»

Fachkräfte- und Lehrlingsmangel entgegenwirken

Ein weiteres Sorgenkind der MEM-Branche ist der Fachkräftemangel. «Dies ist wohl die grösste Herausforderung, die zu bewältigen ist», betont Eric von Ballmoos. Gerade in technischen Berufen war auch 2020 die Zahl der Vakanzen höher als jene der Stellensuchenden. Aufgrund Covid-19 sei die Thematik bei einigen Unternehmen kurzfristig und verständlicherweise in den Hintergrund gerückt, was die Situation zusätzlich belaste, so von Ballmoos. «Die demografische Entwicklung dürfte die Situation in den nächsten Jahren noch verschärfen, weil mehr Arbeitskräfte in Pension gehen, als aus dem Nachwuchs nachrücken», befürchtet Jürg Marti.

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, spannen die beiden Verbände Swissmechanic und Swissmem zusammen. «In diesem Bereich werden in der Tat grosse Anstrengungen unternommen», betont Eric von Ballmoos. So gibt es denn auch verschiedenen Ansätze wie die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Erwerbstätigkeit bis zum Rentenalter und darüber hinaus. Bei der Gewinnung neuer Fachkräfte spielen Lernende eine wichtige Rolle. «Swissmem sensibilisiert die Mitglieder, dass die Anstellung von Lernenden sowie die Weiterbildung generell wichtig sind und unterstützt die Mitglieder in vielen Belangen», erklärt von Ballmoos.

Unter dem Projektnamen «Futuremem» arbeiten die beiden Verbände an der Berufsreform der acht technischen beruflichen Grundbildungen. «Die MEM-Berufe werden so den aktuellsten technischen Entwicklungen und den Entwicklungen der Branche angepasst», sagt Marti.

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Eric von Ballmoos
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Junge Leute ansprechen

«Eines der Ziele ist auch, mit den MEM-Berufen mehr junge Leute und insbesondere auch junge Frauen anzusprechen», so Marti weiter. Kindern und ihren Eltern soll die Faszination für technische Berufe weitergegeben werden. Dazu gibt es «Tüftelworkshops», die teilweise speziell für Mädchen durchgeführt werden und schon die Kleinsten ansprechen.

Zusammen mit Swissmem hat Swissmechanic zudem das Projekt «Faszination Technik» entwickelt. «An einem gemeinsamen grossen Stand können Kindern und Jugendliche die technischen Berufe erleben, in dem sie praktische Dinge unter Anleitung selbst fertigen und mit nach Hause nehmen können», erörtert Marti. Auch sind die Verbände an den Berufsmeisterschaften sehr engagiert, wo gerade die Polymechaniker regelmässig sehr gut abschneiden. «Sie sind die besten Botschafter für ihren Beruf», ist Marti überzeugt. Informationspotenzial sieht er bei den Lehrkräften der Oberstufe und den Berufsinformationszentren. «Hier bestehen oft Wissenslücken über die MEM-Berufe. Diese gilt es zu schliessen.»

Ostschweiz im Lehrstellen-Mittelfeld

Wie sieht es konkret aus auf dem MEM-Lehrstellenmarkt? «Der Lehrstellenmarkt ist – nicht zuletzt dank dem Verantwortungsbewusstsein der Unternehmen – relativ krisenresistent. Im Corona-Jahr 2020 ist die Zahl der neu abgeschlossenen Lehrverträge in den MEM-Berufen Automatiker/innen, Automatikmonteur/innen, Polymechaniker/innen und Produktionsmechaniker/innen zwar nicht ganz so hoch wie 2019, aber – bis auf die Polymechaniker – höher als 2018», sagt Marti.

Gesamtschweizerisch sind per Ende März 2021 insgesamt – also nicht nur in der MEM-Branche – rund 36 500 Lehrverträge abgeschlossen worden. Die Zahl liegt im Rahmen der Vorjahre. «Hier liegt die Ostschweiz im guten Mittelfeld», so Marti.» Von Ballmoos ergänzt, dass es kein Indiz gebe, dass national die Lehrstellen abgenommen haben. Regionen und Subbranchen unterscheiden sich teilweise. «Einige Unternehmen und Ausbildungszentren sehen sich zudem mit der Herausforderung konfrontiert, dass sie gerne Lernende einstellen möchten, jedoch nicht über genügend geeignete Bewerbungen verfügen.»

Um Jugendliche auf offene Lehrstellen hinzuweisen, ergreifen die Kantone und Branchenverbände Massnahmen – insbesondere, um das Matching zwischen dem Angebot der Unternehmen und der Nachfrage der Jugendlichen auf dem Lehrstellenmarkt zu verbessern.

 

Weniger administrative Hürden

Um wettbewerbsfähig zu bleiben, sind gute Rahmenbedingungen für die Unternehmen unabdingbar. «Der Kampf um gute Rahmenbedingungen ist ein Dauerthema, bei dem sich Swissmem sehr stark engagiert», betont Eric von Ballmoos. «Da gilt es, der MEM-Industrie keine Bürden aufzuerlegen», erklärt er. «Die besten Rahmenbedingungen sind, wenn man uns mit möglichst wenig Administrativaufwand und tiefen Steuern arbeiten lässt und die Politik ihre Verantwortung übernimmt für eine gute Infrastruktur und gute Grundbildung», bringt er die Anliegen auf den Punkt.

«Wir müssen jederzeit mit EU-Nadelstichen rechnen.»

Kompromiss mit der EU

Noch nicht konkret abschätzbar ist für die Verbände, was für Folgen das geplatzte Rahmenabkommen mit der EU für die MEM-Industrie hat. «Bisher hatten wir einen ungehinderten Marktzugang zur EU, künftig gibt es Rechtsunsicherheit über das künftige Verhältnis Schweiz – EU. Wir müssen von der Forschungszusammenarbeit über die Zertifizierung unserer Produkte jederzeit mit Nadelstichen rechnen», befürchtet von Ballmoos. Da würden sich Unternehmen bei Investitionen vermehrt überlegen, ob sie in der Schweiz oder im Ausland investieren, bedauert von Ballmoos. Er hofft denn auch auf einen Kompromiss mit der EU.

Im Gegensatz zu Swissmem hat Swissmechanic das Rahmenabkommen abgelehnt, weil es «das Schweizer Erfolgsmodell geschwächt hätte». «Wir stellen uns eine partnerschaftliche Beziehung mit der EU auf Augenhöhe vor», erklärt Jürg Marti.

Für Eric von Ballmoos braucht es jetzt vor allem eins: «Es ist wichtig, dass die Politik den in den letzten Jahren aufgebauten Administrativaufwand der Firmen entlastet, den Arbeitsmarkt flexibler macht, den Marktzugang zu Staaten in Nord- und Südamerika öffnet und eine Negativspirale mit der EU verhindert.»

Text: Tanja Millius

Bild: Marlies Thurnheer

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