Wirtschaft

«Fragen Sie meinen Kollegen»

«Fragen Sie meinen Kollegen»
Miryam Koc und Stephan Ziegler: Regelmässige Abfuhren
Lesezeit: 4 Minuten

Der LEADER bringe zu wenig Frauen, musste sich Redaktorin Miryam Koc neulich bei einem Mediengespräch vorwerfen lassen. Findet sie auch – und will von Chefredaktor Stephan Ziegler wissen, warum dem so sei.

Stephan, wir müssen reden. Zur Auflockerung ein wenig Small Talk. Wie lange gibt es den LEADER schon?
Seit bald 21 Jahren – im September 2022 konnten wir unser 20-Jahre-Jubiläum feiern.

Und seit wann bist du Chefredaktor?
Ebenfalls seit zwei Jahrzehnten. Ich hatte sogar das Vergnügen, auf dem ersten Titelbild abgebildet zu werden. Allerdings nur von hinten, man hat mir sozusagen über die Schulter auf die Ostschweiz geschaut. Das war allerdings das einzige solche Cover – danach durften die Porträtierten in die Kamera schauen.

Wenn man das in LEADER-Hauptausgaben ausdrücken müsste: Wie viele wären das ungefähr?
Wir geben jährlich neun Hauptausgaben heraus. Das sind dann nach Adam Riese bis dato, also bis und mit dieser August-Ausgabe 2023, 189 Exemplare. 

Jeden Monat ziert eine andere Person das Titelblatt. Welche Kriterien müssen erfüllt sein, um es auf die Seite 1 zu schaffen?
Grundvoraussetzung ist, dass die Person aus der Ostschweiz (SG, TG, AR, AI) kommt – und dann sollte sie auch unternehmerisch unterwegs sein. Staatsdiener oder Politiker sind weniger prädestiniert; aber auch solche hatten wir auf dem Cover.

Wie viele Frauen waren in den 20 Jahren auf einem Titelblatt?
Ungefähr ein Dutzend.

«Je mehr Frauen sich aus der Deckung wagen, desto mehr folgen diesen Vorbildern.»

Das sind ziemlich wenige, findest du nicht?
Viel zu wenige, stimmt.

 

Und woran liegt das?
Natürlich an uns, weil wir keine Frauen auf dem Cover wollen. Scherz beiseite: Wir bemühen uns auf der Redaktion redlich, Frauen für Beiträge zu motivieren, erfahren aber regelmässig Abfuhren oder werden an männliche Kollegen verwiesen.

Kannst du ein Beispiel machen?
Vor wenigen Monaten haben wir es geschafft, eine bekannte Unternehmerin für einen Beitrag zu gewinnen. Sie stimmte dem Fotoshooting dazu nur unter einer Bedingung zu: Dass wir sie nicht auf dem Titelbild bringen.

Wie fallen die Reaktionen denn bei Männern aus, wenn man ihnen mitteilt, dass sie aufs Titelblatt kommen?
Wir teilen das den Porträtierten in der Regel nicht im Vorfeld mit. Es hat sich allerdings noch nie jemand beschwert, wenn er auf dem Cover war. Aber wir achten auch sehr darauf, unsere Gesprächspartner von der besten Seite zu zeigen; wir hauen niemanden optisch in die Pfanne. 

Wenn ich durch die letzte LEADER-Ausgabe blättere, sehe ich auch im Innenteil deutlich weniger Frauen als Männer. Sind Frauen in der Ostschweizer Wirtschaft generell untervertreten?
In den Führungsetagen sind sie das (noch), aber nicht nur in der Ostschweiz. Und wenn wir einmal eine Geschäftsführerin als Interviewpartnerin ins Auge gefasst haben, kommt häufig die Antwort: Fragen Sie doch meinen Kollegen/Co-Founder/C-irgendwas-O, der kann das viel besser. Alles schon passiert, und zwar nicht nur einmal.

Langsam, aber sicher erhöht sich der Anteil der Unternehmerinnen in der Schweiz. Innert 30 Jahren, von 1991 bis 2021, ist ihr Anteil von 28,2 auf 36,7 Prozent gestiegen. Spürst du diesen Wandel als Chefredaktor eines Wirtschaftsmagazins auch?

Noch nicht. Es sind zwar mehr Frauen in den Führungsetagen vertreten, sie trauen sich aber offensichtlich weniger zu, ihre Firma auch gegen aussen zu vertreten, als ihre männlichen Pendants. Besser sieht es bei Lehre und Forschung aus: Hier können wir immer wieder Professorinnen oder andere Expertinnen motivieren, uns zu einem Thema Auskunft zu geben.

Hinken wir Zürich in Themen wie Gleichstellung und Diversität nach?
Nein, wir machen nur kein solches Theater drum. Wir brauchen übrigens keine Gleichstellung, sondern Gleichberechtigung: Gleichberechtigung heisst, dass alle Läufer von der gleichen Startlinie starten. Gleichstellung würde bedeuten, dass alle gleichzeitig ins Ziel laufen, unabhängig von ihrem Können. Das wäre das Ende des Leistungsprinzips. Und was die Diversität angeht: Uns Ostschweizer interessiert nicht, welche Hautfarbe oder welches Geschlecht jemand hat – die Leistung muss stimmen.

 

«Wir brauchen keine Gleichstellung, sondern Gleichberechtigung.»

Was tut die LEADER-Redaktion, um Gleichstellung zu fördern? Intern, aber auch in ihrer Berichterstattung?
Intern: Nichts. Denn wenn wir eine Stelle zu besetzen haben, nehmen wir den am besten geeigneten Bewerber, unabhängig von seinem Geschlecht, von seiner Herkunft oder seiner sexuellen Orientierung. Diese Faktoren sind mir wurscht. In der Berichterstattung hingegen machen wir uns in den Redaktionskonferenzen immer wieder Gedanken, welche Expertin oder Unternehmerin wir wo bringen können. Leider oft mit ernüchterndem Erfolg, siehe oben.

Quoten können ein Instrument sein, um Sichtbarkeit zu fördern. Du hältst nichts davon?
Natürlich nicht, denn wer will schon allein wegen seines Geschlechts eine Arbeitsstelle erhalten? Du wurdest auch rein aufgrund deines Leistungsausweises eingestellt, weil du die beste Bewerberin warst – und nicht, weil wir eine Quotenfrau gesucht hätten.

Im LEADER wird auch nicht gegendert. Wieso nicht?
Mir als Germanisten dreht sich jedes Mal fast der Magen um, wenn von Politikerinnen und Politikern oder Bürgerinnen und Bürgern geschwafelt wird. Oder von «Studierenden» und «Mitarbeitenden». Diese Sprachverhunzung unterstützen wir nicht. Und, Überraschung: Das freut die Leser. Wie oft habe ich schon gehört, und zwar von Männern wie von Frauen, dass man das Gendern nicht goutiere, aber man müsse sich halt dem gesellschaftlichen Druck beugen. Sagt wer?, frage ich dann gerne. Darauf fällt niemandem eine Antwort ein.

Dennoch: Sprache ist mächtig. Könnte es nicht sein, dass sich dadurch Frauen weniger angesprochen fühlen?
Im Gegenteil, das Verwenden von zwei Formen, Maskulinum und Femininum, hat etwas Trennendes – als wären wir zwei verschiedene Spezies. Wir sind aber alles Menschen, und das generische Maskulinum hat nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun, es umfasst Mann und Frau. Meines Erachtens treibt man mit dem Gendern die Spaltung der Gesellschaft voran. Da machen wir nicht mit.

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«Das Verwenden von Maskulinum und Femininum hat etwas Trennendes.»

Gibt es noch etwas, was du Ostschweizer Unternehmerinnen sagen möchtest?
Ja. Traut euch mehr zu, scheut das Rampenlicht nicht. Je mehr Frauen sich aus der Deckung wagen, desto mehr werden diesen Vorbildern folgen. Und wir müssen in fünf oder zehn Jahren dieses Gespräch nicht wiederholen (lacht).

 

Text: Miryam Koc

Bild: Urs Bucher

Ausgabe August 2023

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