Fokus Wirtschaftsraum Appenzell

Der Appenzeller Wirtschaft geht es gut – noch

Der Appenzeller Wirtschaft  geht es gut – noch
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Wie geht es der Appenzeller Wirtschaft nach zwei Pandemiejahren? «Gut», ist das einstimmige Fazit von Wirtschaft und Verwaltung. Das überrascht auf den ersten Blick, da wegen Corona die gesamtwirtschaftliche Situation doch arg düster aussehen dürfte. Der zweite Blick offenbart aber die bemerkenswerte Widerstandskraft des Wirtschaftsraumes Appenzellerland. Allerdings ziehen Wolken am Horizont auf.

«Grundsätzlich hat fast die gesamte Wirtschaft die Auswirkungen von Corona gespürt. Allerdings waren lange nicht alle so stark betroffen wie Veranstalter, Reisebüros oder Fitnesscenter», resümiert Markus Walt, Leiter des Innerrhoder Amtes für Wirtschaft. Der Detailhandel habe nach dem Lockdown einerseits davon profitiert, dass der Einkaufstourismus eingeschränkt war, andererseits habe aber der Onlinehandel gegenüber dem stationären weiter zugelegt. «Industrie und Handwerk konnten grossmehrheitlich durcharbeiten, hatten aber auch Ausfälle durch unterbrochene Logistikketten und krankheitsbedingte Absenzen zu beklagen.» Der Innerrhoder Tourismus konnte die Einbussen des Lockdowns mehr als wettmachen: 2020 war Innerrhoden der einzige Kanton, der mehr Logiernächte verzeichnen konnte als im Vorjahr.

«Gesamtheitlich war 2021 für unsere Wirtschaft ein gutes Jahr», sagt auch Daniel Lehmann, Leiter des Ausserrhoder Amtes für Wirtschaft und Arbeit. «Corona hat glücklicherweise nur auf wenige Branchen wirtschaftliche Auswirkungen gehabt.» So seien der Gastrobereich, die Reisebranche, Tourismus oder die Eventbranche von den behördlich angeordneten Massnahmen empfindlich getroffen worden. «Unter allen Unternehmen in unserem Kanton machen diese stark betroffenen Betriebe aber nur rund acht bis neun Prozent aus», so Lehmann. Den anderen Branchen gehe es gut bis sehr gut; sie erlebten teilweise, wie zum Beispiel im Baugewerbe, sogar einen Boom. Kämpfen müssen diese Betriebe aber mit Handelshemmnissen, ausbleibenden Materiallieferungen und Fachkräftemangel.

Und wie sehen die Appenzeller Wirtschaftsamtsleiter die nähere Zukunft? «Positiv! Die Binnenwirtschaft wird sich voraussichtlich weiter erholen. Wir sind in der Schweiz mehrheitlich in der privilegierten Lage, dass wir die Verknappung von landwirtschaftlichen Produkten oder fossilen Brennstoffen tragen können – nicht zuletzt aufgrund der hier angelegten Reserven», zeigt sich Markus Walt optimistisch. Allerdings dürften die europäische Industrie und die von Nahrungsmittelimporten abhängigen Länder grosse Probleme haben, je länger der Ukraine-Krieg dauert. «Ein Ende der aktuell positiven Entwicklung ist nicht in Sicht», sagt auch Daniel Lehmann. Doch gibt er zu bedenken, dass schnell auch wieder ein Abwärtstrend einsetzen könnte. Dann, wenn sich eine weitere Virusmutante verbreitet, wenn sich der Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Einflüsse weiter zuspitzen.

  
Markus Walt
Markus Walt
Daniel Lehmann
Daniel Lehmann
Christoph Tobler
Christoph Tobler

Wirtschaft bestätigt positive Einschätzung

2021 war für die Präzisionsgewebespezialistin Sefar AG aus Heiden «ein höchst erfreuliches Jahr», teilt CEO Christoph Tobler die Einschätzung der beiden Amtsleiter. Der Umsatz zeigte ein robustes Wachstum, die Profitabilität stieg überproportional – 2021 war für Sefar ein Rekordjahr. «2022 birgt mehr Herausforderungen und es sieht nicht so aus, als könnten wir die gleiche Steigerung noch einmal bringen.» Die Auftragslage sei zwar weiterhin sehr gut, aber auf der Kostenseite spüre man die Preiserhöhungen für Strom und Gas. «Dank unserer guten Position am Markt können wir die höheren Kosten aber mehrheitlich an die Kunden weitergeben», so Tobler. Die Aufgabe der Geschäfte mit Russland macht für Sefar nur rund ein Umsatzprozent aus. Die sekundären Effekte des Ukraine-Krieges über hohe Volatilität in den Energie- und Rohstoffmärkten treffen sie «allerdings wie alle anderen industriell tätigen Firmen». Deshalb fordert Christoph Tobler: «Vorsicht mit Massnahmen zur Abdämpfung der Effekte aus der Verteuerung der Energie!» Konzessionen an Interessengruppen würden nur selten wieder zurückgenommen und belasteten am Ende die Allgemeinheit permanent. Zudem müsse «die Kernenergie wieder als realistische Option für den raschen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen ins Auge gefasst werden». Die Swisca AG produziert in Appenzell Waagen für die Lebensmittelindustrie. CEO Heinz Brand hatte ein sehr gutes 2021: «Auftragseingang, Umsatz und Gewinn wuchsen zweistellig.» Auch für 2022 erwartet er ein zweistelliges Wachstum: «Die Weltbevölkerung ist 2021 um 97 Millionen gewachsen. Parallel dazu steigt der Verbrauch von Getreide und Grundnahrungsmitteln. Diese Entwicklung fördert Investitionen in der Nahrungsmittelindustrie.»

Swisca hat sich gleich bei Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine vollständig aus dem Russlandgeschäft zurückgezogen, obwohl Russland mit 86 Millionen Tonnen und die Ukraine mit 25 Millionen Tonnen zu den grössten Weizenproduzenten weltweit gehören. Sorgen macht Brand der starke Franken, da die Swisca knapp die Hälfte ihrer Produkte in Euro fakturiert. Hier vertraue Swisca aber auf ihren guten Ruf, der auf Swiss Made, Qualität, Präzision, Glaubwürdigkeit, Effizienz, Sicherheit und Ressourceneffizienz beruht.

Auch Adrian Locher, CEO der Appenzeller Koch Kälte AG, die sich auf Kälte und Kühlung in der Medizintechnik spezialisiert hat, blickt auf ein überdurchschnittliches Jahr zurück: «Wir konnten sehr viele Impfzentren mit unseren Medikamentenkühlschränken ausstatten.» Umsatztechnisch werde sich die Lage 2022 einpendeln. Als Produzentin sind die Lieferprobleme aber eine grosse Herausforderung für Koch – weniger als der Krieg in der Ukraine: «Davon sind wir nicht betroffen», so Locher.

Der schwache Euro helfe zwar, die enormen Rohstoffpreise etwas abzufedern, da Koch einige Komponenten im Euroraum einkauft. «Die hohen Einkaufspreise sind aber eine Herausforderung.» Und: Durch die gescheiterten Rahmenverträge mit der EU sind einige Geräte wie zum Beispiel Blutkühlschränke enorm schwierig oder nur mit grossen Aufwänden aus der EU zu beziehen. Hier wünscht sich Locher baldige Lösungen von der Politik.

Das Pharmaunternehmen Herbamed AG produziert in Bühler homöopathische Medikament. CEO Christoph Züllig blickt auf durchzogene Pandemiejahre: «Während der Covid-Phase sind in der Schweiz viele häufige Gesundheitsprobleme fast ‹verschwunden›, und die Apotheken haben ihre Umsätze schwergewichtig mit Testen gemacht.» Der Medikamentenverkauf sei zwar noch unterdurchschnittlich; die asiatischen Länder aber arbeiteten trotz zahlreicher Lockdowns erstaunlich konstant – anders als etwa Deutschland.

Sorgen macht Züllig der Ukraine-Krieg: «Angst und ohnmächtige europäische Regierungen sind schlechte Voraussetzungen für ein gutes Kaufklima.» Die Schweiz müsse aufpassen, dass sie in diesem Konflikt nicht als Opportunist beurteilt werde, der «in Krämermentalität versucht, die Sanktionen gegen Russland zu umgehen». Das gebe ein schlechtes Image, und man wolle sich nicht für das Verhalten des Bundesrates schämen müssen.

Die Simex Trading AG handelt weltweit mit Kosmetika und Parfüms. CEO Edgar Stefani beurteilt 2021 zwar als «sehr herausfordernd», schlussendlich sei es aber für Simex ein erfolgreiches Jahr gewesen. «Auch 2022 haben wir sehr gut begonnen, kämpfen zur Zeit jedoch mit der Krise in der Ukraine, da wir in den letzten Jahren erfolgreich Kunden aufgebaut haben, die jetzt weggebrochen sind.» Das belaste sein Geschäft weit mehr als der schwache Euro. Stefani glaubt nicht, dass die Schweizer Politik hier viel beeinflussen könne. Er wünscht sich, dass «wirtschaftliche Unabhängigkeit und Eigenständigkeit mit bilateralen Verträgen angestrebt werden».

Barbara Ehrbar ist CEO der Breitenmoser Fleischspezialitäten AG in Appenzell Steinegg. Sie kann 2021 nur Gutes abgewinnen: «Nach Corona-bedingt sehr erfreulichen Umsätzen im 2020 und 2021 rechnen wir in diesem Jahr mit einer Normalisierung. Eine grosse Herausforderung sehen wir aufgrund der Verfügbarkeit in der Rohmaterialbeschaffung sowie der Rohstoffknappheit vor allem beim Verpackungsmaterial, deren Teuerung uns im Einkauf zu schaffen macht.» Die Verkaufstätigkeit von Breitenmoser beschränkt sich auf den Schweizer Markt. Insofern ist sie vom starken Franken nicht betroffen. «Anders beim Zukauf von Rohstoffen, deren Teuerung der schwache Euro zum Glück wieder etwas wettmacht», sagt Ehrbar. Und wenn sie in diesem Zusammenhang einen Wunsch an die Politik frei hätte? «Dann wünschte ich mir weniger staatliche Regulierungen. Diese sind extrem kräfte- und zeitraubend.»

Für Pascal Loepfe-Brügger, CEO der Appenzeller Alpenbitter AG, ist das Jahresergebnis 2021 «besser als befürchtet». Im Absatzkanal Gastronomie wurden die Umsatzziele zwar nicht erreicht, der Absatz im Detailhandel lag dagegen über den Erwartungen. Aufgrund der coronabedingten Einschränkungen wurden die Appenzeller-Alpenbitter-Produkte häufiger zu Hause konsumiert, und das Unternehmen aus Appenzell verstärkte die Präsenz im B2C-Bereich.

Für 2022 rechnet Loepfe-Brügger mit einer weiteren wirtschaftlichen Normalisierung. Denn weil die Appenzeller Alpenbitter AG die Rohmaterialien hauptsächlich aus der Schweiz bezieht und hier auch den überwiegenden Teil des Umsatzes generiert, ist sie weder von den Wechselkursschwankungen noch vom Ukraine-Krieg stark betroffen. «Die Preise für Verpackungsmaterialien sind allerdings weiter gestiegen. Hier hat der Krieg die coronabedingten Lieferengpässe noch verstärkt», sagt Loepfe-Brügger. Für 2022 wünscht er sich, dass die Werbung für Spirituosen nicht noch weiter eingeschränkt wird.

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Schwierigkeiten machen 2022 Preissteigerungen bei Rohstoffen und Energie
Die Arcolor AG produziert in Waldstatt Druckfarben. CEO Jörg Müller musste 2021 einen Gewinn unter Erwartungen hinnehmen – trotz erfreulichem Umsatz: Massive Preissteigerungen beim Rohmaterial haben die Arcolor belastet. Dazu kamen Verzögerungen bei Lieferungen einzelner Rohstoffe. «Dank vorausschauender Planung konnte die Lieferfähigkeit zum Glück jederzeit gewährleistet werden», so Müller. Den Optimismus manch anderer Unternehmen im Appenzellerland mag er nicht ganz teilen: «Die Nachfrage dürfte stagnieren oder sogar zurückgehen. Bei den Rohstoffkosten erkennt man noch keine Entspannung, sondern wir erhalten im Gegenteil bei fast allen Produkten weiterhin Preiserhöhungen.» Arcolor exportiert 97 Prozent aller Produkte, damit ist sie durch den schwachen Euro stark belastet. Aber diese Sorge verschwindet angesichts der steigenden Energiekosten, die durch den Krieg in der Ukraine verstärkt werden. Ein Schreiben des Bundes mit der Ankündigung, dass in zwei bis drei Jahren der Strom rationiert werden könnte, hat Müller überrascht. «Die Politik ist anscheinend nicht in der Lage, Lösungen zur Schliessung der Stromlücke zu finden. Hier wünsche ich mir weniger Ideologie und Parteipolitik, dafür mehr Pragmatismus und verantwortungsvolles Handeln.»

Auch Nicolas Härtsch, CEO des Leiterplattenherstellers Varioprint AG aus Heiden, blickt auf ein anspruchvolles Geschäftsjahr 2021 zurück. «Nach einem Nachfrageabriss in 2020 durften wir 2021 zwar einen hohen Auftragseingang verzeichnen. Die Leiterplatten wurden aber nicht analog dem Auftragseingang abgerufen, sondern die Aufträge wurden immer mehr ins neue Jahr verschoben. Der Grund lag in den teilweise schlechten Verfügbarkeiten von elektronischen Bauteilen. Daher war 2021 eher durchzogen. Der Start ins 2022 verlief dafür umso dynamischer.»

Härtsch geht von schwierigen Lieferketten bis über 2022 aus. Hinzu kommen weitere Hindernisse wie steigende Energiepreisen oder Inflation. «Der schwache Euro ist für uns als exportorientiertes Unternehmen eine Herausforderung. Wir haben im Vergleich zu Ende 2021 mit dem gegenwärtigen Kurs fast sieben Prozent an Wettbewerbsfähigkeit verloren.» Technologieführerschaft und Flexibilität helfen beim Kompensieren. «Die steigenden Kosten für Rohstoffe und Basismaterialien sowie allfällige Probleme in der Lieferkette werden wir aber noch zu spüren bekommen», vermutet Härtsch. «Da brauchen wir ein liberales Wirkungsumfeld, unbürokratische Prozesse und Rechtssicherheit.»

Edgar Stefani
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Barbara Ehrbar
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Pascal Loepfe-Brügger
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Jörg Müller
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Nicolas Härtsch
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