Wirtschaft

«Das Medikament darf nicht zur Droge werden»

«Das Medikament darf  nicht zur Droge werden»
Daniel Wessner: Anstieg der Anspruchshaltung.
Lesezeit: 4 Minuten

Mehr Freiheit, weniger Staat: Gilt das nicht mehr? Daniel Wessner, Leiter des Thurgauer Amtes für Wirtschaft und Arbeit, beobachtet, dass immer mehr unternehmerische Risiken von Unternehmen an den Staat abgeschoben würden. Ist wegen Corona die Anspruchshaltung gegenüber dem Staat gestiegen?

Daniel Wessner, während der Coronapandemie konnten etliche Unternehmen nur dank staatlicher Hilfe überleben Überbrückungskredite, Schutzschirme, Kurzarbeit, Härtefallhilfen. Diese Staatshilfen sind doch eigentlich eine gute Sache, nicht?
Das sehe ich im Grundsatz auch so. Zur Bewältigung der Corona-Krise wurde auf Bundesebene die Wirtschaft mit Geldern in der Höhe von 97 Milliarden Franken gestützt. Im Thurgau erhielten 4239 Firmen rund 280 Millionen an Covid-19-bedingten Kurzarbeitsentschädigungen; 7379 Selbständigerwerbende wurden mit 27,4 Millionen Erwerbsersatz entschädigt. Nebst den Überbrückungskrediten in der Höhe von fast 1,3 Millionen sowie den rund 4,8 Millionen Unterstützungsbeiträgen für Sport und Kultur bekamen bis Ende 2021 748 Unternehmen fast 95,4 Millionen Franken an Härtefallhilfe. Bei 98 Prozent der Härtefallgelder handelt es sich um nicht rückzahlbare Beiträge. Und verschiedene Unterstützungsprogramme laufen ja auch noch weiter.

Dank der Corona-Wirtschaftshilfe in einer nie dagewesenen Dimension konnten zahlreiche Unternehmen am Leben erhalten und der Arbeitsmarkt stabilisiert werden.
Absolut. Klar wurde aber auch, dass die Staatshilfen in gewissen Branchen wettbewerbsverzerrend sind und eine natürliche Strukturbereinigung verzögern. In einzelnen Fällen ist es sicher auch zu Überentschädigungen gekommen. Das schafft falsche Anreize.

Das Geld kommt ja schlussendlich vom Steuerzahler, und bekanntlich zahlen die Unternehmen mit Gewinn- und Kapitalsteuern zwischen einem Viertel und einem Drittel der direkten Steuern in der Schweiz. Da ist es doch nur gerecht, wenn sie in ausserordentlichen Notlagen, die vom Staat mit verursacht wurden, vom Staat auch etwas zurückerhalten?
Wenn der Staat in einer ausserordentlichen Notlage Massnahmen ergreift, welche die Handels- und Gewerbefreiheit massiv einschränken, so soll er die daraus resultierenden wirtschaftlichen Einbussen entschädigen. Doch – wie lange sind Entschädigungen gerechtfertigt? Spätestens jetzt müssten die Corona-Hilfsgelder doch auslaufen, denn es gibt keinerlei Covid-19-Einschränkungen mehr. Zu diskutieren ist das Vorgehen bei Notlagen, die nicht der Staat verursacht hat. Unweigerlich denke ich da an den Krieg in der Ukraine. Ich bezweifle, dass der Staat für sämtliche ausserordentlichen Ereignisse auf der Welt geradestehen kann und muss. Hier stellt sich für mich die Frage: Was gilt als unternehmerisches Risiko und was nicht?

 

Sie finden, die Anspruchshaltung gegenüber dem Staat steige. Woran machen Sie das fest?
Der Ruf nach Rettungsschirmen und Subventionen ist allgegenwärtig. Nach den Entschädigungsforderungen während der Corona-Pandemie manifestiert sich nun die Erwartungshaltung aufgrund des Krieges in der Ukraine. Gewisse Branchen und politische Kreise fordern zum Beispiel staatlich subventionierte Rohstoffpreise oder einen Schutzschirm für die Strombranche.

Heisst das, wegen Corona haben sich die Unternehmen daran «gewöhnt», Risiken auf den Staat abzuschieben?
Auch wenn die meisten Unternehmen es schätzen, eigenständig zu sein, beobachten wir einen Anstieg der Anspruchshaltung. Der Ruf nach Unterstützung wird durch die Politik befeuert. Dass das eidgenössische Parlament das Härtefallprogramm bis Ende 2022 verlängert hat, ist für mich nicht nachvollziehbar. Covid-19-Rettungsschirme und Geldhähne sollten nun wieder geschlossen werden. Anders ausgedrückt: Das Medikament darf nicht zur Droge werden.

Ist es nicht vielmehr so, dass der Staat nur widerwillig hilft, wenn er tatsächlich einmal gebraucht wird? Schliesslich sollte der Staat ja für die Bürger da sein – und nicht umgekehrt.
Die grosszügigen Unterstützungsgelder während der Pandemie zeigen auf, wie stark sich der Staat für die Bürger engagiert hat. Voraussetzung dafür waren finanzielle Polster, die sich der Staat in den sogenannt guten Jahren anlegen konnte. Die ausgerichteten Wirtschaftshilfen erfolgten schnell, unbürokratisch und in hohen Summen. Die Diskrepanz liegt wohl darin, dass einerseits für einen schlanken Staat plädiert wird, andererseits soll der Staat für alle und alles garantieren. Wir müssen uns bewusst sein: Es braucht immer auch Eigenverantwortung, denn der Staat ist keine Vollkaskoversicherung. Unser Auftrag ist es, für attraktive Rahmenbedingungen zu sorgen und dabei die Steuergelder sorgsam und verantwortungsvoll einzusetzen. Aber braucht es für jedes denkbare Ereignis einen Rettungsschirm?

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Nun gut, aber was sagen Sie einem Unternehmer, der nur durch Kurzarbeit und Überbrückungskredit durch die Pandemie gekommen ist und jetzt noch einige Jahre mit der Rückzahlung beschäftigt ist?
Firmen, die coronabedingt in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, haben vor allem Kurzarbeitsentschädigungen und Härtefallgelder erhalten. Kurzarbeitsentschädigungen müssen nicht zurückbezahlt werden – und auch bei den Härtefallgeldern handelt es sich im Thurgau zu 98 Prozent um A-Fonds-Perdu-Beiträge. Zinsfreie Überbrückungs-Darlehen wurden abhängig vom Umsatz der Unternehmung gesprochen; sie garantierten den Unternehmen rasch und unkompliziert die Liquidität.

Wie stellen Sie denn sicher, dass das AWA TG die Sorgen und Nöte von Unternehmen kennt und nicht nur aus dem «Elfenbeinturm» heraus entscheidet?
Die Nähe zur Wirtschaft ist mir ein wichtiges Anliegen. Als AWA-Amtsleiter pflege ich darum generell einen engen Kontakt zu den Thurgauer Unternehmen. Insbesondere während der Pandemie waren wir auch fast täglich im Austausch mit den Wirtschaftsverbänden. Unsere Leute stehen bei Fragen oder Anliegen stets zur Verfügung.

Aus der Industrie, aber auch etwa aus der Finanzwirtschaft erreichen uns laufend neue Rekordmeldungen, was Umsatz und Gewinn angeht. Das zeigt doch, dass die Ostschweizer Wirtschaft gut mit der Pandemie und dem starken Franken umgehen kann?
Die Wirtschaft hat sich tatsächlich deutlich schneller von der Pandemiekrise erholt als erwartet. Zum einen ist dies den Corona-Hilfszahlungen zu verdanken, zum anderen aber auch der Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit unserer Unternehmen. Zahlreiche Betriebe sahen in der Krise auch eine Chance und nutzten diese nachhaltig. Es entstanden Neuentwicklungen, Digitalisierungsfortschritte und weitere innovative Projekte. Allerdings befürchte ich nun, dass uns die Folgen des Ukraine-Kriegs wirtschaftlich wieder erheblich treffen werden. Die Lage ist unsicher.

Genau. Zudem sehe ich die reale Gefahr – auch aufgrund der verzögerten Reaktionen der Notenbanken – nicht nur einer zunehmenden Inflation, sondern sogar einer möglichen Stagflation. Der Trend zur zunehmenden Globalisierung scheint für den Moment gestoppt. Wir tun darum gut daran, uns eigenverantwortlich für die nächsten Herausforderungen zu wappnen und uns zu merken: Jede Krise birgt auch Chancen.

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